2022 stellte der Kläger, ein moldauischer Staatsangehöriger, in der Tschechischen Republik einen Antrag auf internationalen Schutz. Er begründete seinen Antrag damit, dass er in Moldau von Unbekannten bedroht worden sei, die ihn in der Vergangenheit angegriffen hätten, und dass es den Polizeibehörden nicht gelungen sei, die Täter zu identifizieren. Er führte außerdem aus, aufgrund der Invasion Russlands in die Ukraine nicht in seine Herkunftsregion zurückkehren zu wollen.
Die tschechischen Behörden lehnten diesen Antrag ab, wobei sie insbesondere berücksichtigten, dass die Republik Moldau - mit Ausnahme von Transnistrien - als sicherer Herkunftsstaat bestimmt worden sei. Dem Kläger sei es nicht gelungen, nachzuweisen, dass diese Einstufung in seinem konkreten Fall nicht zutreffe.
Das Regionalgericht Brno (Brünn) (Tschechische Republik), bei dem der Kläger einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung seines Antrags eingelegt hat, hat dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Auslegung der Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren im Bereich des internationalen Schutzes vorgelegt.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass ein Drittstaat die Kriterien, auf deren Grundlage eine Bestimmung als sicherer Herkunftsstaat erfolgen kann, nicht allein deshalb nicht mehr erfüllt, weil er von seinem Recht Gebrauch macht, von den in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vorgesehenen Verpflichtungen abzuweichen. Die Erklärung, von dieser Abweichung Gebrauch zu machen, lässt für sich allein nämlich weder den Schluss zu, dass tatsächlich abweichende Maßnahmen ergriffen wurden, noch können daraus Rückschlüsse auf Natur und Umfang solcher Maßnahmen gezogen werden. Wird vom Recht auf Abweichung Gebrauch gemacht, müssen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten jedoch beurteilen, ob die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts geeignet sind, die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat in Frage zu stellen.
Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass es den Mitgliedstaaten nach dem Unionsrecht derzeit nicht möglich ist, nur einen Teil des Gebiets des betroffenen Drittstaats als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen. Die Kriterien für die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat müssen nämlich in seinem gesamten Hoheitsgebiet erfüllt sein.
Schließlich führt der Gerichtshof aus, dass das nationale Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz befasst ist, der von einem Staatsangehörigen eines als sicherer Herkunftsstaat bestimmten Drittstaats gestellt wurde, einen Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten aufgreifen muss. Folglich muss das Regionalgericht Brno im Rahmen der Prüfung des bei ihm anhängigen Rechtsmittels sowohl die Abweichung der Republik Moldau von ihren in der EMRK vorgesehenen Verpflichtungen berücksichtigen, als auch den Verstoß der Tschechischen Republik gegen die Bedingung, wonach sich die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat auf dessen gesamtes Hoheitsgebiet beziehen muss.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.12.2024
Quelle: EuGH, ra-online (pm/pt)