15.11.2024
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Dokument-Nr. 2739

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil18.07.2006

EuGH erklärt Aufent­halts­klausel bei Arbeits­lo­sengeld für rechtmäßigEinschränkung verstößt nicht gegen das Gemein­schaftsrecht

Die Freizügigkeit und die Aufent­halts­freiheit stehen einer Aufent­halts­klausel als Voraussetzung für die Wahrung des Anspruchs auf eine Leistung bei Arbeits­lo­sigkeit nicht entgegen. Sie trägt der Notwendigkeit Rechnung, die Situation der Arbeitslosen zu überwachen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof.

Der belgische Staats­an­ge­hörige De Cuyper war in Belgien im Lohn- oder Gehalts­ver­hältnis beschäftigt, und ihm wurden 1997 Leistungen wegen Arbeits­lo­sigkeit bewilligt. 1978 wurde ihm eine Befreiung von der Verpflichtung erteilt, sich der über Arbeitlose ausgeübten Kontrolle zu unterziehen. 1999 legte er eine Erklärung vor, in der er behauptete, tatsächlich in Belgien zu wohnen. Im April 2000 führte das Office national de l'emploi (ONEM) eine Untersuchung zur Überprüfung der Richtigkeit der Erklärungen des Betroffenen durch. Bei dieser Untersuchung räumte Herr De Cuyper ein, dass er seit Januar 1999 nicht mehr tatsächlich in Belgien wohne, sondern sich in Frankreich aufhalte. Aufgrund der Untersuchung wurden ihm die Leistungen wegen Arbeits­lo­sigkeit von diesem Zeitpunkt an versagt, weil er die Voraussetzung des tatsächlichen Aufenthalts gemäß dem belgischen Recht nicht mehr erfülle. Außerdem verlangte das ONEM die Rückzahlung der seit dem 1. Januar 1999 gewährten Leistungen in Höhe von 12.452,78 Euro.

Herr De Cuyper focht diese Entscheidung des ONEM beim Tribunal du travail Brüssel an, das dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen dazu zur Vorab­ent­scheidung vorlegte. Zur Natur der Leistung wegen Arbeits­lo­sigkeit stellt der Gerichtshof fest, dass es sich dabei um eine Leistung der sozialen Sicherheit handelt, für die die Verordnung Nr. 1408/71 (Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familien­an­ge­hörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern) gilt, und zwar auch dann, wenn der Empfänger aufgrund einer nationalen Regelung von der Verpflichtung befreit ist, sich als Arbeits­su­chender registrieren zu lassen, und damit von der Verpflichtung, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu halten. Der Gerichtshof führt in diesem Zusammenhang aus, dass die Erteilung einer Befreiung nicht bedeutet, dass der Arbeitslose von der Verpflichtung befreit wäre, dem Arbeitsamt zur Verfügung zu stehen, da er auch dann, wenn er von der Verpflichtung, sich als Arbeitsuchender registrieren zu lassen und jede zumutbare Arbeit anzunehmen, befreit ist, stets diesem Amt zum Zweck der Kontrolle seiner beruflichen und familiären Situation zur Verfügung stehen muss.

Zu der Frage, ob ein Mitgliedstaat nach dem Gemein­schaftsrecht dazu berechtigt ist, die Gewährung einer solchen Leistung von einer Klausel des Aufenthalts in seinem Hoheitsgebiet abhängig zu machen, legt der Gerichtshof dar, dass der EG-Vertrag zwar vorsieht, dass jeder Unionsbürger das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dass dieses Aufent­haltsrecht aber nicht uneingeschränkt gilt, sondern nur vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durch­füh­rungs­vor­schriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.

In dieser Beziehung sieht die Verordnung Nr. 1408/71 nur zwei Situationen vor, in denen es der zuständige Mitgliedstaat den Empfängern einer Leistung wegen Arbeits­lo­sigkeit unter Wahrung der entsprechenden Leistungs­ansprüche erlauben muss, sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzuhalten: zum einen, dass sich der Arbeitslose in einen anderen Mitgliedstaat als den zuständigen Staat begibt, "um dort eine Beschäftigung zu suchen", zum anderen, dass der Arbeitslose während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates gewohnt hat. Aus der Vorla­ge­ent­scheidung geht eindeutig hervor, dass eine Situation wie diejenige von Herrn De Cuyper unter keinen dieser Artikel fällt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass eine nationale Regelung wie diejenige, um die es im Ausgangs­ver­fahren geht, die einige Staats­an­ge­hörige allein deswegen benachteiligt, weil sie ihre Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, wahrgenommen haben, zwar eine Beschränkung der Freiheiten darstellt, die Artikel 18 EG jedem Unionsbürger verleiht. Jedoch trägt im vorliegenden Fall die Aufstellung einer Aufent­halts­klausel der Notwendigkeit Rechnung, die berufliche und familiäre Situation der Arbeitslosen zu überwachen. Denn diese Klausel erlaubt es den Prüfungs­diensten des ONEM, zu überprüfen, ob keine Veränderungen in der Situation des Empfängers der Leistung wegen Arbeits­lo­sigkeit eingetreten sind, die einen Einfluss auf die bewilligte Leistung haben könnten. Diese Rechtfertigung beruht demnach auf objektiven Erwägungen des Allge­mein­in­teresses, die von der Staats­an­ge­hö­rigkeit der Betroffenen unabhängig sind. Die in Bezug auf Leistungen bei Arbeits­lo­sigkeit durchzuführende Kontrolle weist eine Besonderheit auf, die die Einrichtung einschnei­denderer Mechanismen rechtfertigt, als sie bei der Kontrolle anderer Leistungen eingerichtet werden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 63/06 des EuGH vom 18.07.2006

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