Die Richtlinie über Umwelthaftung sieht in Bezug auf bestimmte in Anhang II der Richtlinie aufgeführte Tätigkeiten vor, dass der Betreiber, der durch seine Tätigkeit einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat, dafür verantwortlich ist. Er muss daher auf seine Kosten die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen ergreifen.
Die in der Gegend von Priolo Gargallo (Sizilien) gelegene Rada di Augusta leidet unter wiederkehrenden Phänomenen der Umweltverschmutzung, deren Ursprung in den 60er-Jahren liegen soll, als das petrochemische Zentrum Augusta-Priolo-Melilli geschaffen wurde. Seitdem hat sich in dieser Region eine Vielzahl von Unternehmen niedergelassen oder abgelöst, die in der Ölindustrie oder im petrochemischen Sektor tätig sind.
In mehreren aufeinander folgenden Entscheidungen erlegten die italienischen Behörden den Unternehmen, die Anlieger der Rada di Augusta sind, Verpflichtungen zur Beseitigung der Verschmutzung auf, die in der zum „Gebiet von nationalem Interesse zum Zweck der Sanierung“ erklärten Gegend von Priolo festgestellt worden war.
Die Unternehmen Raffinerie Mediterranee (ERG) SpA, Polimeri Europa SpA, Syndial SpA und ENI SpA erhoben gegen diese Verwaltungsentscheidungen Klage bei italienischen Gerichten. Das Tribunale amministrativo regionale della Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht von Sizilien, Italien), das über diese Angelegenheiten entscheiden muss, hat dem Gerichtshof mehrere Fragen nach der Anwendung des Verursacherprinzips vorgelegt.
In der Rechtssache C-378/08 möchte das italienische Gericht insbesondere wissen, ob das Verursacherprinzip einer nationalen Regelung entgegensteht, die es der zuständigen Behörde erlaubt, Betreibern aufgrund der Nähe ihrer Anlagen zu einem verschmutzten Gebiet Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden aufzuerlegen, ohne zuvor untersucht zu haben, auf welches Ereignis die Verschmutzung zurückzuführen ist, und ohne ein Verschulden der Betreiber oder einen ursächlichen Zusammenhang zwischen deren Verhalten und der festgestellten Verschmutzung nachgewiesen zu haben.
In seinem Urteil kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie über Umwelthaftung einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die es der zuständigen Behörde erlaubt, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten von Betreibern und einer festgestellten Verschmutzung zu vermuten, weil sich deren Anlagen in der Nähe des verschmutzten Gebiets befinden. Nach dem Verursacherprinzip muss die zuständige Behörde jedoch, um einen solchen ursächlichen Zusammenhang vermuten zu können, über plausible Anhaltspunkte für ihre Vermutung verfügen, wie z. B. die Nähe der Anlage des Betreibers zu der festgestellten Verschmutzung oder die Übereinstimmung zwischen den gefundenen Schadstoffen und den Komponenten, die der Betreiber im Rahmen seiner Tätigkeiten verwendet.
Außerdem braucht die zuständige Behörde den Betreibern, deren Tätigkeiten für die Umweltschäden verantwortlich gemacht werden, kein Verschulden nachzuweisen. Sie muss dagegen zuvor nach der Ursache der festgestellten Verschmutzung suchen, wobei sie über ein weites Ermessen in Bezug auf die Verfahren, die einzusetzenden Mittel und die Dauer einer solchen Untersuchung verfügt.
In den Rechtssachen C-379/08 und C-380/08 fragt das italienische Gericht,, ob die Richtlinie über Umwelthaftung eine wesentliche Änderung der Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden erlaubt, die bereits durchgeführt wurden oder mit deren Durchführung begonnen wurde. Außerdem möchte das Gericht wissen, ob die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die das Recht der Betreiber auf Nutzung ihrer Grundstücke davon abhängig macht, dass sie die erforderlichen Arbeiten durchführen.
In seinem Urteil kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die zuständige Behörde befugt ist, die Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden, die am Ende eines kontradiktorischen, in Zusammenarbeit mit den betroffenen Betreibern durchgeführten Verfahrens beschlossen wurden und bereits durchgeführt wurden oder mit deren Durchführung begonnen wurde, wesentlich zu ändern. Beim Erlass einer solchen Entscheidung muss diese Behörde allerdings die Betreiber anhören, sofern nicht die Dringlichkeit der Umweltsituation ein sofortiges Tätigwerden der zuständigen Behörde gebietet; insbesondere auch denjenigen Personen, auf deren Grundstücken Sanierungsmaßnahmen durchzuführen sind, Gelegenheit dazu geben, ihre Bemerkungen mitzuteilen, und diese berücksichtigen und in ihrer Entscheidung angeben, welche Gründe ihrer Wahl zugrunde liegen und welche Gründe es gegebenenfalls rechtfertigen, dass eine eingehende Prüfung nicht durchgeführt werden musste oder dass diese beispielsweise wegen der Dringlichkeit der Umweltsituation nicht durchgeführt werden konnte.
Außerdem stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie über Umwelthaftung einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die zuständige Behörde die Ausübung des Rechts von Betreibern auf Nutzung ihrer Grundstücke davon abhängig machen kann, dass sie die geforderten Umweltsanierungsarbeiten durchführen, und zwar auch dann, wenn diese Grundstücke von den Arbeiten nicht betroffen sein sollten, weil sie bereits Gegenstand von früheren Sanierungsmaßnahmen waren oder nie verschmutzt wurden. Eine solche Maßnahme muss allerdings durch das Ziel gerechtfertigt sein, eine Verschlimmerung der Umweltsituation zu verhindern oder – in Anwendung des Vorsorgegrundsatzes – das Auftreten oder Wiederauftreten anderer Umweltschäden auf den Grundstücken der Betreiber, die an den Küstenkomplex angrenzen, der Gegenstand der Sanierungsmaßnahmen ist, zu vermeiden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.03.2010
Quelle: ra-online, EuGH