21.11.2024
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Dokument-Nr. 8859

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil02.12.2009

EuGH zum möglichen Parteiwechsel bei Herstellerklage nach Ablauf der vorgesehenen ZehnjahresfristIst Lieferant hundert­pro­zentige Tochter­ge­sell­schaft des Herstellers ist Parteiwechsel auch nach Fristablauf nicht zu beanstanden

In einem gerichtlichen Verfahren, das irrtümlich gegen den Lieferanten eines fehlerhaften Produkts eingeleitet wurde, kann dieser Lieferant nur während einer Frist von zehn Jahren ab dem Inver­kehr­bringen des Produkts durch den Hersteller ersetzt werden. Jedoch ist dieser Parteiwechsel auch noch nach Ablauf der Zehnjahresfrist möglich, wenn der Lieferant eine hundert­pro­zentige Tochter des Herstellers ist und das Inver­kehr­bringen des Produkts von der herstellenden Mutter­ge­sell­schaft bestimmt worden ist. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entschieden.

Die Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte sieht eine Frist von zehn Jahren für die Erhebung einer Klage gegen den Hersteller vor. Das Gesetz, mit dem diese Richtlinie im Vereinigten Königreich umgesetzt worden ist, lässt in einem gerichtlichen Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen nach Ablauf dieser Frist einen Beklag­ten­wechsel zu; dies gilt u. a. dann, wenn sich der Kläger über die Identität der Person, gegen die die Klage zu richten ist, irrt.

Hintergrund

Das französische Unternehmen Aventis Pasteur SA (APSA) stellt pharmazeutische Erzeugnisse, u. a. einen HIB-Impfstoff, her. Mérieux UK ist eine hundert­pro­zentige Tochtergesellschaft von APSA und deren Vertrie­bs­händlerin im Vereinigten Königreich. Sie verkaufte eine Sendung des Impfstoffs über das britische Gesund­heits­mi­nis­terium an ein Krankenhaus, das wiederum einen Teil des Impfstoffs an eine Arztpraxis lieferte.

Antrag auf Parteiwechsel bei Klageerhebung nach Ablauf der vorgesehenen Zehnjahresfrist gestellt

Nach der Verabreichung einer Dosis des fraglichen Impfstoffs an OB erlitt dieser erhebliche Schäden. Zunächst erhob er binnen der Zehnjahresfrist eine Schaden­s­er­satzklage gegen die britische Tochter­ge­sell­schaft Mérieux UK Ltd, jetzt Aventis Pasteur MSD (APMSD). Daraufhin beantragte OB, APMSD durch APSA zu ersetzen, weil er bei Klageerhebung irrtümlich APMSD für den Hersteller des fraglichen Impfstoffs gehalten habe. Dieser Antrag auf Parteiwechsel wurde jedoch nach Ablauf der für eine Klage gegen den Hersteller vorgesehenen Zehnjahresfrist gestellt.

Zulässigkeit eines Parteiwechsel muss nationales Recht bestimmen

Das mit dem Rechtsstreit befasste House of Lords fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der nationalen Rechts­vor­schrift mit der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Richtlinie keine Aussage darüber enthält, welche verfah­rens­recht­lichen Regeln anzuwenden sind, wenn ein Geschädigter wegen eines fehlerhaften Produkts eine Haftungsklage erhebt und sich dabei über die Person des Herstellers irrt. Somit sind die Voraussetzungen, unter denen ein Parteiwechsel im Rahmen einer solchen Klage zulässig ist, grundsätzlich nach nationalem Recht zu bestimmen.

Ausnahme bei der Anwendung des nationalen Rechts

Jedoch kann eine nationale Rechts­vor­schrift nicht so angewandt werden, dass nach Ablauf der Zehnjahresfrist eine Klage gegen den Hersteller als Beklagten in einem Verfahren zulässig ist, das binnen dieser Frist gegen einen anderen Beklagten eingeleitet worden ist. Andernfalls könnte die Verjäh­rungsfrist gegenüber dem Hersteller aus einem anderen Grund als der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen ihn unterbrochen werden; zudem würde aber auch die Dauer dieser Frist verlängert, was dem Grundsatz der Rechts­si­cherheit widerspräche.

Nach Ansicht des Gerichtshofs verstieße die Berück­sich­tigung subjektiver Kriterien, etwa, dass der Geschädigte ein Unternehmen irrtümlich für den Hersteller des als fehlerhaft angesehenen Erzeugnisses hält, gegen die objektiven Harmo­ni­sie­rungs­regeln der Richtlinie.

Folglich kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie grundsätzlich dem entgegensteht, dass eine nationale Regelung, die während eines gerichtlichen Verfahrens einen Beklag­ten­wechsel zulässt, so angewandt wird, dass nach Ablauf der in der Richtlinie vorgesehenen Zehnjahresfrist ein Hersteller in einem während dieser Frist gegen eine andere Person eingeleiteten gerichtlichen Verfahren als Beklagter in Anspruch genommen werden kann.

Parteiwechsel bei hundert­pro­zentige Tochter­ge­sell­schaft nicht zu beanstanden

Im konkreten Fall befindet der Gerichtshof, dass die Richtlinie es nicht ausschließt, dass in dem Verfahren, das binnen der Zehnjahresfrist gegen eine hundert­pro­zentige Tochter­ge­sell­schaft des Herstellers eingeleitet wurde, Letzterer an die Stelle seiner Tochter­ge­sell­schaft treten kann, wenn das Gericht feststellt, dass das Inver­kehr­bringen des fraglichen Produkts vom Hersteller bestimmt worden ist.

Die Richtlinie ist nach Ansicht des Gerichtshofs dahin auszulegen, dass, wenn der durch ein als fehlerhaft angesehenes Produkt Geschädigte den Hersteller dieses Produkts vernünf­ti­gerweise nicht vor der Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber dem Lieferanten dieses Produkts feststellen konnte, der Lieferant als „Hersteller“ im Sinne der Richtlinie zu behandeln ist, falls er dem Geschädigten nicht von sich aus und unverzüglich den Hersteller oder seinen eigenen Lieferanten benannt hat. Im konkreten Fall wusste APMSD zu dem Zeitpunkt, als sie von OB verklagt wurde, als Tochter­ge­sell­schaft von APSA, von der sie den fraglichen Impfstoff unmittelbar gekauft hatte, zwangsläufig, wer Hersteller war.

Nationales Gericht muss klären, ob Lieferant als Hersteller angesehen werden kann

Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist die Prüfung dieser Punkte Sache des nationalen Gerichts. Hielte es APMSD für einen „Hersteller“, könnte es von einer Unterbrechung der ihr gegenüber geltenden Verjäh­rungsfrist durch das von OB eingeleitete gerichtliche Verfahren ausgehen. Dagegen könnte aufgrund einer solchen Feststellung dem Antrag, APMSD durch APSA zu ersetzen, nicht stattgegeben werden, weil er nach Ablauf der Zehnjahresfrist gestellt worden wäre.

Quelle: ra-online, EuGH

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