Die Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte sieht eine Frist von zehn Jahren für die Erhebung einer Klage gegen den Hersteller vor. Das Gesetz, mit dem diese Richtlinie im Vereinigten Königreich umgesetzt worden ist, lässt in einem gerichtlichen Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen nach Ablauf dieser Frist einen Beklagtenwechsel zu; dies gilt u. a. dann, wenn sich der Kläger über die Identität der Person, gegen die die Klage zu richten ist, irrt.
Das französische Unternehmen Aventis Pasteur SA (APSA) stellt pharmazeutische Erzeugnisse, u. a. einen HIB-Impfstoff, her. Mérieux UK ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von APSA und deren Vertriebshändlerin im Vereinigten Königreich. Sie verkaufte eine Sendung des Impfstoffs über das britische Gesundheitsministerium an ein Krankenhaus, das wiederum einen Teil des Impfstoffs an eine Arztpraxis lieferte.
Nach der Verabreichung einer Dosis des fraglichen Impfstoffs an OB erlitt dieser erhebliche Schäden. Zunächst erhob er binnen der Zehnjahresfrist eine Schadensersatzklage gegen die britische Tochtergesellschaft Mérieux UK Ltd, jetzt Aventis Pasteur MSD (APMSD). Daraufhin beantragte OB, APMSD durch APSA zu ersetzen, weil er bei Klageerhebung irrtümlich APMSD für den Hersteller des fraglichen Impfstoffs gehalten habe. Dieser Antrag auf Parteiwechsel wurde jedoch nach Ablauf der für eine Klage gegen den Hersteller vorgesehenen Zehnjahresfrist gestellt.
Das mit dem Rechtsstreit befasste House of Lords fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschrift mit der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Richtlinie keine Aussage darüber enthält, welche verfahrensrechtlichen Regeln anzuwenden sind, wenn ein Geschädigter wegen eines fehlerhaften Produkts eine Haftungsklage erhebt und sich dabei über die Person des Herstellers irrt. Somit sind die Voraussetzungen, unter denen ein Parteiwechsel im Rahmen einer solchen Klage zulässig ist, grundsätzlich nach nationalem Recht zu bestimmen.
Jedoch kann eine nationale Rechtsvorschrift nicht so angewandt werden, dass nach Ablauf der Zehnjahresfrist eine Klage gegen den Hersteller als Beklagten in einem Verfahren zulässig ist, das binnen dieser Frist gegen einen anderen Beklagten eingeleitet worden ist. Andernfalls könnte die Verjährungsfrist gegenüber dem Hersteller aus einem anderen Grund als der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen ihn unterbrochen werden; zudem würde aber auch die Dauer dieser Frist verlängert, was dem Grundsatz der Rechtssicherheit widerspräche.
Nach Ansicht des Gerichtshofs verstieße die Berücksichtigung subjektiver Kriterien, etwa, dass der Geschädigte ein Unternehmen irrtümlich für den Hersteller des als fehlerhaft angesehenen Erzeugnisses hält, gegen die objektiven Harmonisierungsregeln der Richtlinie.
Folglich kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie grundsätzlich dem entgegensteht, dass eine nationale Regelung, die während eines gerichtlichen Verfahrens einen Beklagtenwechsel zulässt, so angewandt wird, dass nach Ablauf der in der Richtlinie vorgesehenen Zehnjahresfrist ein Hersteller in einem während dieser Frist gegen eine andere Person eingeleiteten gerichtlichen Verfahren als Beklagter in Anspruch genommen werden kann.
Im konkreten Fall befindet der Gerichtshof, dass die Richtlinie es nicht ausschließt, dass in dem Verfahren, das binnen der Zehnjahresfrist gegen eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Herstellers eingeleitet wurde, Letzterer an die Stelle seiner Tochtergesellschaft treten kann, wenn das Gericht feststellt, dass das Inverkehrbringen des fraglichen Produkts vom Hersteller bestimmt worden ist.
Die Richtlinie ist nach Ansicht des Gerichtshofs dahin auszulegen, dass, wenn der durch ein als fehlerhaft angesehenes Produkt Geschädigte den Hersteller dieses Produkts vernünftigerweise nicht vor der Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber dem Lieferanten dieses Produkts feststellen konnte, der Lieferant als „Hersteller“ im Sinne der Richtlinie zu behandeln ist, falls er dem Geschädigten nicht von sich aus und unverzüglich den Hersteller oder seinen eigenen Lieferanten benannt hat. Im konkreten Fall wusste APMSD zu dem Zeitpunkt, als sie von OB verklagt wurde, als Tochtergesellschaft von APSA, von der sie den fraglichen Impfstoff unmittelbar gekauft hatte, zwangsläufig, wer Hersteller war.
Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist die Prüfung dieser Punkte Sache des nationalen Gerichts. Hielte es APMSD für einen „Hersteller“, könnte es von einer Unterbrechung der ihr gegenüber geltenden Verjährungsfrist durch das von OB eingeleitete gerichtliche Verfahren ausgehen. Dagegen könnte aufgrund einer solchen Feststellung dem Antrag, APMSD durch APSA zu ersetzen, nicht stattgegeben werden, weil er nach Ablauf der Zehnjahresfrist gestellt worden wäre.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.12.2009
Quelle: ra-online, EuGH