15.11.2024
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Dokument-Nr. 2458

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Urteil30.05.2006Gerichtshof der Europäischen UnionC-317/04 und C-318/04
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil30.05.2006

Übermittlung von europäischen Fluggastdaten an die USA rechtswidrigBeschluss über die Genehmigung zur Übermittlung dieser Daten basiert auf keiner geeigneten Rechtsgrundlage

Nach den Terror­an­schlägen des 11. September 2001 erließen die Vereinigten Staaten Rechts­vor­schriften, wonach Flugge­sell­schaften, die Flüge in die oder aus den Vereinigten Staaten oder über deren Gebiet durchführen, den amerikanischen Behörden einen elektronischen Zugriff auf die Daten ihrer automatischen Reservierungs- und Abfer­ti­gungs­systeme, die so genannten "Passenger Name Records" (PNR), gewähren müssen.

Da die Kommission der Auffassung war, dass diese Bestimmungen mit den Rechts­vor­schriften der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten über den Schutz perso­nen­be­zogener Daten in Konflikt geraten könnten, nahm sie Verhandlungen mit den amerikanischen Behörden auf. Nach Abschluss dieser Verhandlungen erließ die Kommission am 14. Mai 2004 eine Entscheidung (die Angemes­sen­heits­ent­scheidung), mit der festgestellt wird, dass das United States Bureau of Customs and Border Protection (CBP) einen angemessenen Schutz für PNR-Daten gewährleistet, die aus der Gemeinschaft übermittelt werden. Der Rat erließ am 17. Mai 2004 einen Beschluss, mit dem der Abschluss eines Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten über die Verarbeitung von Fluggast­da­ten­sätzen und deren Übermittlung durch die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässigen Flugge­sell­schaften an das CBP genehmigt wurde. Dieses Abkommen wurde am 28. Mai 2004 in Washington unterzeichnet und ist am selben Tag in Kraft getreten.

Das Europäische Parlament beantragt beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, den Beschluss des Rates (Rechtssache C-317/04) und die Angemes­sen­heits­ent­scheidung (Rechtssache C-318/04) für nichtig zu erklären. Es macht u. a. geltend, die Angemes­sen­heits­ent­scheidung sei ultra vires ergangen, Artikel 95 EG sei keine geeignete Rechtsgrundlage für den Beschluss über die Genehmigung des Abkommens, und in beiden Fällen seien Grundrechte verletzt. Zur Unterstützung der Anträge des Parlaments in beiden Rechtssachen ist der Europäische Daten­schutz­be­auf­tragte - erstmals seit der Schaffung dieses Amtes - als Streithelfer vor dem Gerichtshof aufgetreten.

In seinem Urteil erklärte der Gerichtshof nun beide Rechtsakte für nichtig.

Zur Angemes­sen­heits­ent­scheidung

Der Gerichtshof prüfte zunächst, ob die Kommission die Angemes­sen­heits­ent­scheidung rechtsgültig auf der Grundlage der Richtlinie 95/46/EG erlassen konnte. Er wies dazu darauf hin, dass die Richtlinie nach ihrem Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich keine Anwendung auf die Verarbeitung perso­nen­be­zogener Daten findet, die für die Ausübung von Tätigkeiten erfolgt, die nicht in den Anwen­dungs­bereich des Gemein­schafts­rechts fallen, und auf keinen Fall auf Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sicherheit, die Landes­ver­tei­digung, die Sicherheit des Staates und die Tätigkeiten des Staates im straf­recht­lichen Bereich.

Aus der Angemes­sen­heits­ent­scheidung ergibt sich, dass amerikanische Rechts­vor­schriften, die u. a. die Verbesserung der Sicherheitslage betreffen, die Rechtsgrundlage für die Daten­über­mittlung sind, dass die Gemeinschaft die Vereinigten Staaten uneingeschränkt im Kampf gegen den Terrorismus unterstützt und dass die PNR-Daten ausschließlich für Zwecke der Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus und damit verknüpfter Straftaten sowie anderer schwerer Straftaten, einschließlich der internationalen organisierten Kriminalität, verwendet werden. Daraus folgt, dass die Übermittlung der PNR-Daten an das CBP eine Verarbeitung darstellt, die die öffentliche Sicherheit und die Tätigkeiten des Staates im straf­recht­lichen Bereich betrifft.

Es trifft zwar zu, dass die PNR-Daten von den Flugge­sell­schaften ursprünglich im Rahmen einer unter das Gemein­schaftsrecht fallenden Tätigkeit erhoben worden sind, nämlich im Rahmen des Verkaufs eines Flugscheins, der zu einer Dienstleistung berechtigt; die Daten­ver­a­r­beitung, die in der Angemes­sen­heits­ent­scheidung Berück­sich­tigung findet, ist jedoch von ganz anderer Art. Denn diese Entscheidung bezieht sich auf eine Daten­ver­a­r­beitung, die nicht für die Erbringung einer Dienstleistung erforderlich ist, sondern zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und zu Straf­ver­fol­gungs­zwecken als erforderlich angesehen wird.

Die Tatsache, dass es private Wirtschafts­teil­nehmer sind, die die PNR-Daten zu gewerblichen Zwecken erhoben haben und in einen Drittstaat übermitteln, hindert nicht daran, diese Übermittlung als eine vom Anwen­dungs­bereich der Richtlinie ausgenommene Daten­ver­a­r­beitung anzusehen. Die Übermittlung findet nämlich in einem von staatlichen Stellen geschaffenen Rahmen statt und dient der öffentlichen Sicherheit.

Der Gerichtshof gelang demnach zu dem Ergebnis, dass die Angemes­sen­heits­ent­scheidung nicht in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie fällt, da sie eine davon ausgenommene Verarbeitung perso­nen­be­zogener Daten betrifft. Folglich erklärt der Gerichtshof die Angemes­sen­heits­ent­scheidung für nichtig. Die anderen Klagegründe des Parlaments brauchen nicht mehr geprüft zu werden.

Zum Beschluss des Rates

Der Gerichtshof stellte fest, dass Artikel 95 EG in Verbindung mit Artikel 25 der Richtlinie die Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des fraglichen Abkommens mit den Vereinigten Staaten nicht begründen kann. Das Abkommen betrifft nämlich die gleiche Daten­über­mittlung wie die Angemes­sen­heits­ent­scheidung und damit eine Verarbeitung von Daten, die nicht in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie fällt. Daher erklärt der Gerichtshof den Beschluss des Rates über die Genehmigung des Abkommens für nichtig und führt aus, dass die anderen Klagegründe des Parlaments nicht geprüft zu werden brauchen.

Zur Beschränkung der Wirkungen des Urteils

Da das Abkommen während eines Zeitraums von 90 Tagen nach seiner Kündigung wirksam bleibt, entschied der Gerichtshof aus Gründen der Rechts­si­cherheit und zum Schutz der betroffenen Personen, die Wirkungen der Angemes­sen­heits­ent­scheidung bis zum 30. September 2006 aufrecht­zu­er­halten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 46/06 des EuGH vom 30.05.2006

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