Verschiedene Organisationen der Seeverkehrsindustrie, die einen erheblichen Teil dieser Branche vertreten, haben vor dem High Court of Justice (England & Wales) eine Klage betreffend die Durchführung der Richtlinie über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen für Verstöße* im Vereinigten Königreich erhoben.
Sie machen geltend, dass zwei Vorschriften der Richtlinie in mehrfacher Hinsicht gegen zwei internationale Übereinkommen verstießen: das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (Übereinkommen von Montego Bay) und das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (Marpol-Übereinkommen), in denen die Bedingungen für die Ausübung souveräner Rechte durch die Küstenstaaten in den verschiedenen Meeresgebieten festgelegt seien. Diese Vorschriften führten für die unfallbedingte Verschmutzung eine strengere Haftungsregelung ein.
Das nationale Gericht bittet den Gerichtshof, die Frage zu beantworten, ob die Vorschriften der Richtlinie mit den beiden internationalen Übereinkommen im Einklang stehen. In seinem Urteil Tage kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Gültigkeit der Richtlinie weder am Marpol-Übereinkommen noch am Seerechtsübereinkommen gemessen werden kann.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die von der Gemeinschaft geschlossenen internationalen Abkommen für ihre Organe verbindlich sind und somit Vorrang vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts haben. Folglich kann die Gültigkeit u. a. von Richtlinien durch die Nichtbeachtung völkerrechtlicher Regeln berührt sein.
Der Gerichtshof zählt sodann die Voraussetzungen auf, die erfüllt sein müssen, damit er die Gültigkeit einer Gemeinschaftsregelung an einem völkerrechtlichen Vertrag messen kann. Zum einen muss die Gemeinschaft durch diesen Vertrag gebunden sein, zum anderen dürfen dessen Art und Struktur namentlich der Prüfung der Gültigkeit durch den Gerichtshof nicht entgegenstehen.
Im Anschluss an diese Hinweise führt der Gerichtshof eine umfassende Prüfung der beiden völkerrechtlichen Verträge durch.
Zum Marpol-Übereinkommen stellt der Gerichtshof fest, dass die Gemeinschaft nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist. Dass mit der Richtlinie bestimmte in diesem völkerrechtlichen Übereinkommen enthaltene Regeln in das Gemeinschaftsrecht übernommen werden, genügt nicht, um dem Gerichtshof die Möglichkeit zu geben, die Rechtmäßigkeit dieser Richtlinie an diesem Übereinkommen zu messen.
Das Seerechtsübereinkommen ist von der Gemeinschaft unterzeichnet und mit einem Beschluss von ihr genehmigt worden, so dass die Gemeinschaft daran gebunden ist. Dieses Übereinkommen enthält jedoch keine Vorschriften, die dazu bestimmt sind, direkt und unmittelbar auf Einzelne Anwendung zu finden. Es verleiht diesen keine Rechte und Freiheiten, die den Staaten gegenüber unabhängig von der Haltung des Flaggenstaats des Schiffes geltend gemacht werden könnten.
Die Art und die Struktur dieses Übereinkommens lassen es somit nicht zu, dass der Gerichtshof die Gültigkeit eines Gemeinschaftakts an ihm misst.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.06.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des EuGH vom 03.06.2008