15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil30.05.2013

Verspätete Umsetzung der Richtlinie über Vorrats­daten­speicherung - Schweden zur Strafzahlung vom 3 Millionen Euro verpflichtetInterne Schwierigkeiten kein Recht­fer­ti­gungsgrund für Nichteinhaltung der aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen

Schweden muss wegen verspäteter Umsetzung der Richtlinie über die Vorrats­daten­speicherung einen Pauschalbetrag von drei Millionen Euro zahlen. Da die Richtlinie sicherstellen soll, dass Daten der elektronischen Kommunikation zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten zur Verfügung stehen, ist ihre verspätete Umsetzung geeignet, sich auf die betroffenen privaten und öffentlichen Interessen auszuwirken. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Mit der Richtlinie über die Vorrats­da­ten­spei­cherung* sollen die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Pflichten von Anbietern öffentlich zugänglicher elektronischer Kommu­ni­ka­ti­o­ns­dienste oder Betreibern eines öffentlichen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­netzes im Zusammenhang mit der Vorratsspei­cherung bestimmter Daten, die von ihnen erzeugt oder verarbeitet werden, harmonisiert werden, um sicherzustellen, dass die Daten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht bestimmt werden, zur Verfügung stehen. Diese Richtlinie musste von den Mitgliedstaaten bis spätestens 15. September 2007 umgesetzt werden.

EuGH verurteilt Schweden erstmals bereits im Jahr 2010 wegen Fristverletzung

Im Jahr 2009 erhob die Kommission beim Gerichtshof eine erste Vertrags­ver­let­zungsklage gegen Schweden, weil es diese Richtlinie nicht innerhalb der vorge­schriebenen Frist umgesetzt hatte. Mit einem ersten, im Jahr 2010 ergangenen Urteil** hat der Gerichtshof festgestellt, dass Schweden die Frist für den Erlass der erforderlichen Rechts- und Verwal­tungs­vor­schriften um dieser Richtlinie nachzukommen, versäumt und dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dieser Richtlinie verstoßen hatte.

Kommission erhebt zweite Vertrags­ver­let­zungsklage und beantragt Verurteilung Schwedens zur Zahlung von Zwangsgeldern

Im Jahr 2011 erhob die Kommission, die der Ansicht war, dass Schweden dieses Urteil von 2010 noch immer nicht durchgeführt habe, eine zweite Vertrags­ver­let­zungsklage, über die der Gerichtshof nun entschieden hat. Die Kommission hat beantragt, Schweden zu verurteilen, ein Zwangsgeld von täglich 40 947,20 Euro für jeden Tag des Verzugs, beginnend mit dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache bis zum Tag der Durchführung des ersten Urteils von 2010, sowie einen Pauschalbetrag von täglich 9.597 Euro für jeden Tag des Verzugs in der Zeit zwischen dem ersten Urteil und dem Urteil in der vorliegenden Rechtssache oder – wenn dieser früher erfolgen sollte – bis zum etwaigen Erlass der Durch­füh­rungs­maß­nahmen zu zahlen.

Kommission verzichtet auf Festsetzung des Zwangsgelds nach vorgestellten Regelungen Schwedens zur Umsetzung der Richtlinie

Am 21. März 2012 erließ das schwedische Parlament eine Regelung zur Umsetzung der Richtlinie in schwedisches Recht, um die vollständige Durchführung des Urteils von 2010 zu gewährleisten. Das Inkrafttreten dieser Regelung wurde auf den 1. Mai 2012 festgelegt. Dementsprechend verzichtete die Kommission auf die Festsetzung eines Zwangsgelds. Den Antrag auf Festsetzung eines Pauschalbetrags erhielt sie jedoch aufrecht.

EuGH: Schweden hat gegen Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass Schweden am Ende des Zeitraums von zwei Monaten nach dem Erhalt des entsprechenden Auffor­de­rungs­schreibens der Kommission (also am 28. August 2010) nicht alle für die Durchführung des ersten Urteils von 2010 erforderlichen Maßnahmen ergriffen hatte. Schweden hat somit gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen. Der Gerichtshof hält es daher für angezeigt, Schweden die Zahlung eines Pauschalbetrags aufzuerlegen.

Verhängung eines Pauschalbetrags abhängig von Folgen der Nichterfüllung einer Verpflichtungen

Zum Grundsatz der Verhängung eines Pauschalbetrags weist er sodann darauf hin, dass dieser Grundsatz im Wesentlichen auf der Beurteilung der Folgen einer Nichterfüllung der Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats für die privaten und öffentlichen Interessen beruht, insbesondere wenn die Vertrags­ver­letzung nach dem Erlass des Urteils, mit dem sie ursprünglich festgestellt worden war, lange Zeit fortbestanden hat.

Unterbliebene Durchführung eines Urteils kann zur Beein­träch­tigung privater und öffentlicher Interessen führen

Im Hinblick auf das mit der Richtlinie verfolgte Ziel – sicherzustellen, dass Daten der elektronischen Kommunikation zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten zur Verfügung stehen – ist die unterbliebene Durchführung des Urteils von 2010 geeignet, die betroffenen privaten und öffentlichen Interessen zu beeinträchtigen. Da die Schweden zur Last gelegte Vertrags­ver­letzung im Übrigen vom Tag der Verkündung dieses Urteils an mehr als zwei Jahre angedauert hatte, hat sie seit diesem Zeitpunkt somit über einen erheblichen Zeitraum fortbestanden.

Höhe des Pauschalbetrags abhängig von Schwere und Dauer des Verstoßes

Bei der Berechnung der Höhe des Pauschalbetrags schließlich berücksichtigt der Gerichtshof Faktoren wie die Schwere des Verstoßes und dessen Dauer. Zur Schwere des Verstoßes weist er darauf hin, dass die Verletzung der Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu beeinträchtigen droht. Aus einem Bericht der Kommission aus dem Jahr 2011*** geht allerdings hervor, dass die Richtlinie ihr Ziel, gleiche Wettbe­wer­bs­be­din­gungen für Betreiber in der Union zu schaffen, nicht in vollem Umfang erreicht habe. Daher musste die Kommission die behauptete Beein­träch­tigung der Wettbe­wer­bs­be­din­gungen auf dem Binnenmarkt für Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­dienste belegen, was sie nicht getan hat.

Vertrags­ver­let­zungs­urteile wurden bisher stets umgesetzt

Darüber hinaus berücksichtigt der Gerichtshof als mildernden Umstand, dass Schweden zuvor noch nie versäumt hat, ein vom Gerichtshof erlassenes Vertrags­ver­let­zungs­urteil durchzuführen.

EuGH weist außer­ge­wöhnliche interne Schwierigkeiten als Recht­fer­ti­gungsgrund Schwedens für Nichtumsetzung der Richtlinie zurück

Demgegenüber weist er zum einen die von Schweden geltend gemachten Recht­fer­ti­gungs­gründe zurück, wonach der Verzug bei der Durchführung des Urteils von 2010 auf außer­ge­wöhnliche interne Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Besonderheiten des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens, mit einer breiten politischen Debatte über die Umsetzung der Richtlinie und mit Problemen infolge schwieriger Abwägungen, um den Schutz des Privatlebens mit dem Erfordernis einer effektiven Krimi­na­li­täts­be­kämpfung zum Ausgleich zu bringen, zurückzuführen sei. Ein Mitgliedstaat kann sich nämlich nicht auf interne Schwierigkeiten (Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner Rechtsordnung) berufen, um die Nichteinhaltung der aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen. Zum anderen weist der Gerichtshof das Vorbringen zurück, die Pflicht­ver­letzung betreffe nur eine teilweise Nichtumsetzung der Richtlinie. Denn die Richtlinie ermöglichte den Mitgliedstaaten zwar, die Geltung der Verpflichtung zur Speicherung von Kommu­ni­ka­ti­o­nsdaten bis zum 15. März 2009 aufzuschieben, nicht aber die Umsetzung der Richtlinie als solcher, die vor dem 15. September 2007 zu erfolgen hatte.

EuGH verurteilt Schweden zur Zahlung eines Pauschalbetrags von drei Millionen Euro

Zur Dauer der Vertrags­ver­letzung weist der Gerichtshof darauf hin, dass diese fast 27 Monate, vom Tag der Verkündung des ersten Urteils von 2010 bis zum 1. Mai 2012, und damit erhebliche Zeit fortbestanden hat. Aufgrund dessen verurteilt der Gerichtshof Schweden, einen Pauschalbetrag von drei Millionen Euro zu zahlen.

Erläuterungen
* Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspei­cherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommu­ni­ka­ti­o­ns­dienste oder öffentlicher Kommu­ni­ka­ti­o­nsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. L 105, S. 54).

** Urteil des Gerichtshofs vom 4. Februar 2010, Kommission/Schweden (C-185/09).

*** KOM[2011] 225 endgültig.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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