21.11.2024
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Dokument-Nr. 5310

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Urteil13.12.2007Gerichtshof der Europäischen UnionC-250/06
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil13.12.2007

Kabel­netz­be­treiber: Pflicht zur Übertragung bestimmter Fernseh­pro­gramme ist rechtmäßig

Die Erteilung des "must carry"-Status an Rundfunk­ver­an­stalter kann durch Kulturpolitik gerechtfertigt sein. Die Erteilung dieses Status' muss einem transparenten Verfahren unterliegen und auf objektiven, nicht diskri­mi­nie­renden Kriterien beruhen.

UPC, die Coditel Brabant SPRL, Brutélé und die Wolu TV ASBL sind Kabel­netz­be­treiber, die vor allem im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt (Belgien) die Versorgung mit Programmen zahlreicher Rundfunk­ver­an­stalter gewährleisten.

Nach nationalem Recht sind sie verpflichtet, in diesem Gebiet die Programme zu übertragen, die von bestimmten Rundfunk­ver­an­staltern, die der Zuständigkeit der französischen oder der flämischen Gemeinschaft unterstehen und den "must carry"-Status besitzen, gesendet werden. Die Regelung über die Übertra­gungs­pflicht ("must carry") soll den pluralistischen und kulturellen Charakter des Programm­an­gebots in Kabel­fern­seh­netzen sichern und den Zugang aller Fernseh­zu­schauer zu dieser Meinungs­vielfalt gewährleisten.

Die Kabel­netz­be­treiber sind jedoch der Auffassung, dass diese Regelung den freien Dienst­leis­tungs­verkehr in ungerecht­fer­tigter Weise behindere. Der belgische Conseil d'État, bei dem die Kabel­netz­be­treiber diese Regelung angefochten haben, hat daher dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt. Dieser stellt zunächst fest, dass eine solche Übertra­gungs­pflicht unmittelbar die Bedingungen für den Zugang zum Dienst­leis­tungsmarkt festlegt, indem sie den in anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich Belgien nieder­ge­lassenen Dienst­leis­tungs­er­bringern, die den "must carry"-Status nicht besitzen, eine Belastung, nämlich die Bedingungen für den Zugang zum Kabelnetz aushandeln zu müssen, auferlegt, die die Dienst­leis­tungs­er­bringer mit diesem Status nicht zu tragen haben. Ferner wird der "must carry"-Status, selbst wenn die Regelung so zu verstehen sein sollte, dass sie ihn nicht ausdrücklich den in Belgien nieder­ge­lassenen Rundfunk­ver­an­staltern vorbehält, wohl eher diesen als den in anderen Mitgliedstaaten nieder­ge­lassenen Rundfunk­ver­an­staltern gewährt werden, da dieser Status ein kultur­po­li­tisches Instrument ist, das im Wesentlichen sicherstellen soll, dass die belgischen Staatsbürger Zugang zu lokalen und nationalen Informationen und zu ihrer eigenen Kultur haben. Eine solche Regelung ist daher geeignet, die Erbringung von Dienst­leis­tungen zwischen Mitgliedstaaten zu behindern. Der Gerichtshof erinnert jedoch zunächst daran, dass Kulturpolitik einen zwingenden Grund des Allge­mein­in­teresses darstellen kann, der eine Beschränkung des Dienst­leis­tungs­verkehrs rechtfertigt.

Die streitige nationale Regelung verfolgt ein Ziel des Allge­mein­in­teresses, da sie den pluralistischen Charakter des Fernseh­pro­gramm­an­gebots erhalten soll und damit Teil einer Kulturpolitik ist, die die Meinungs­freiheit der verschiedenen gesell­schaft­lichen, kulturellen, sprachlichen, religiösen und geistigen Strömungen im audiovisuellen Bereich in diesem Gebiet schützen soll.

Sodann stellt eine solche Übertra­gungs­pflicht in Anbetracht der Zweispra­chigkeit im Gebiet Brüssel-Hauptstadt ein geeignetes Mittel dar, um das angestrebte kultur­po­li­tische Ziel zu erreichen, da sie sicherstellt, dass den Zuschauern der Zugang in ihrer eigenen Sprache zu lokalen und nationalen Informationen sowie zu Programmen, die für ihre Kultur charak­te­ristisch sind, nicht vorenthalten wird.

Schließlich stellt der Gerichtshof zur Frage, ob die streitige Regelung zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist, fest, dass die nationalen Stellen zwar insoweit über ein weites Ermessen verfügen, dass die Maßnahmen zur Durchführung einer solchen Politik aber in keinem Fall außer Verhältnis zu diesem Ziel stehen dürfen und dass ihre Anwendung nicht zur Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten führen darf. Daher muss die Erteilung des "must carry"-Status erstens einem transparenten Verfahren unterliegen, das auf den Rundfunk­ver­an­staltern im Voraus bekannten Kriterien beruht, um zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten das ihnen zustehende Ermessen missbräuchlich ausüben. Insbesondere müssen die Rundfunk­ver­an­stalter in der Lage sein, im Voraus die Art und den Umfang der zu erfüllenden Voraussetzungen sowie der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, die sie gegebenenfalls eingehen müssen, um diesen Status zu erhalten, genau festzustellen. Die bloße Formulierung von Grund­sat­z­er­klä­rungen und allge­mein­po­li­tischen Zielen in der Begründung der nationalen Regelung kann insoweit nicht als ausreichend angesehen werden. Zweitens muss die Erteilung des "must carry"-Status auf objektiven Kriterien beruhen, die geeignet sind, Pluralismus sicherzustellen, indem sie gegebenenfalls durch öffentlich-rechtliche Verpflichtungen den Zugang u. a. zu überregionalen und nationalen Informationen in dem betroffenen Gebiet ermöglichen. Dieser Status kann daher nicht automatisch allen Fernsehsendern gewährt werden, die von einem privaten Rundfunk­ver­an­stalter ausgestrahlt werden, sondern ist streng auf diejenigen zu beschränken, deren gesamter Programminhalt geeignet ist, ein solches Ziel zu erreichen. Außerdem darf die Zahl der Kanäle, die für private Rundfunk­ver­an­stalter mit "must carry"-Status reserviert sind, nicht offensichtlich höher sein, als zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist.

Drittens dürfen die Kriterien, nach denen der "must carry"-Status gewährt wird, nicht diskriminierend sein. Insbesondere darf die Gewährung dieses Status' weder rechtlich noch faktisch von einer Niederlassung im nationalen Hoheitsgebiet abhängig sein. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 93/07 des EuGH vom 13.12.2007

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