15.11.2024
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Dokument-Nr. 1762

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil19.01.2006

Deutsche Visums­be­stim­mungen für Arbeitnehmer aus Drittstaaten behindern Dienst­leis­tungs­verkehrEuGH öffnet Arbeitsmarkt

Die Arbeits­vi­sum­re­gelung, die Deutschland auf Angehörige von Drittstaaten anwendet, die von Dienst­leis­tungs­er­bringern mit Sitz in anderen Mitglieds­s­tatten entsandt werden, verstößt gegen den freien Dienst­leis­tungs­verkehr. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Eine Verpflichtung des Unternehmens, das die Entsendung der aus Drittstaaten stammenden Arbeitnehmer plant, zur Abgabe einer einfachen vorherigen Erklärung wäre eine weniger einschneidende Maßnahme als das Erfordernis einer mindestens einjährigen Vorbe­schäf­ti­gungszeit bei diesem Unternehmen. Diese Erklärung würde eine Verhinderung von Missbräuchen und Umgehungen des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs ermöglichen.

Die Entsendung von Arbeitnehmern, die Angehörige eines Drittstaats sind, ist in Deutschland im Ausländergesetz geregelt. Danach benötigen Ausländer, die sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten wollen, um darin eine unselbständige Erwer­b­s­tä­tigkeit auszuüben, eine besondere Aufent­halts­ge­neh­migung. Unternehmen, die in Deutschland Dienst­leis­tungen erbringen wollen, müssen deshalb dafür sorgen, dass ihre Arbeitnehmer aus Drittstaaten bei der deutschen diplomatischen Vertretung im Mitgliedstaat des Unter­neh­mens­sitzes ein Visum beantragen. Hinsichtlich der Modalitäten der Erteilung dieses Visums schreibt ein Runderlass vor, dass die diplomatische Vertretung Deutschlands sich vorab u. a. vergewissert, dass der Arbeitnehmer seit mindestens einem Jahr bei dem Unternehmen, das die Entsendung plant, beschäftigt ist.

Die Kommission sah in der Praxis der Prüfung bestimmter Kriterien vor der Entsendung sowie der Beschränkung der Entsendung auf Arbeitnehmer, die seit mindestens einem Jahr bei dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen, die Dienst­leis­tungen erbringenden Unternehmen beschäftigt sind, eine Behinderung der Dienst­leis­tungs­freiheit, und hat deshalb Vertrags­ver­let­zungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erhoben.

Präventiver Charakter der Kontrolle

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass diese vorherige Kontrolle geeignet ist, die Ausübung der Dienst­leis­tungs­freiheit mittels entsandter Arbeitnehmer, die Dritt­staats­an­ge­hörige sind, zu erschweren oder ganz unmöglich zu machen. Er prüft sodann, ob diese Kontrolle durch ein im Allge­mein­in­teresse liegendes Ziel gerechtfertigt sein kann und erforderlich ist, um dieses Ziel effektiv und mit den geeigneten Mitteln zu verfolgen. Deutschland hat sich zur Rechtfertigung der Praxis einer vorherigen Kontrolle auf Gründe berufen, die sich auf die Verhinderung der Umgehung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs, auf den Schutz der Arbeitnehmer und auf die Rechts­si­cherheit beziehen.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Praxis der deutschen Behörden über das hinausgeht, was zur Verhinderung von Missbräuchen und Umgehungen des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs erforderlich ist. Eine Verpflichtung des Dienst­leis­tungs­er­bringers, eine einfache vorherige Erklärung dahin gehend abzugeben, dass der Aufenthalt, die Arbeits­er­laubnis und die soziale Absicherung der betreffenden Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem sie von diesem Unternehmen beschäftigt werden, ordnungsgemäß sind, böte den nationalen Behörden die Garantie, dass diese Arbeitnehmer legal beschäftigt sind und ihre Haupttätigkeit in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem das Dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen ansässig ist.

Was den Schutz der Arbeitnehmer angeht, so würde eine vorherige Erklärung es den örtlichen Behörden ermöglichen, die Einhaltung der deutschen Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während der Dauer der Entsendung zu kontrollieren und dabei die Verpflichtungen zu berücksichtigen, denen das Unternehmen bereits nach den im Herkunfts­mit­gliedstaat geltenden Vorschriften auf diesem Gebiet unterliegt. Sie würde ein verhält­nis­mä­ßigeres Mittel darstellen, da sie weniger einschneidend wäre als das fragliche Erfordernis.

Die vorherige Kontroll­maßnahme lässt sich schließlich auch nicht mit der Notwendigkeit rechtfertigen, Gewissheit darüber zu erlangen, dass diese Entsendung rechtmäßig erfolgt ist; denn die Unternehmen, die diese Rechts­vor­schriften nicht beachten, tragen die Verantwortung für eine unter rechtswidrigen Bedingungen erfolgte Entsendung.

Erfordernis einer mindestens einjährigen Vorbe­schäf­ti­gungszeit bei dem entsendenden Unternehmen

Der Gerichtshof stellt fest, dass ein solches Erfordernis, das eine Beschränkung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs darstellt, im Hinblick auf das Ziel, die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer, die Angehörige eines Drittstaats sind, zu gewährleisten, sowie sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer nach der Entsendung in den Herkunfts­mit­gliedstaat zurückkehrten, unver­hält­nismäßig ist.

Hinsichtlich des Recht­fer­ti­gungs­grundes der Verhinderung von Sozialdumping weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Mitgliedstaaten ihre Rechts­vor­schriften oder die Tarifverträge über Mindestlöhne auf alle Personen erstrecken können, die, sei es auch nur vorübergehend, in ihrem Hoheitsgebiet beschäftigt sind. Insoweit würde eine vorherige Erklärung, ergänzt durch die maßgeblichen Angaben zum Arbeitsentgelt und zu den Beschäf­ti­gungs­be­din­gungen, eine den freien Dienst­leis­tungs­verkehr weniger beschränkende Maßnahme darstellen.

Der Gerichtshof stellt demgemäß im Ergebnis fest, dass Deutschland gegen die Bestimmungen über den freien Dienst­leis­tungs­verkehr verstoßen hat.

Quelle: ra-online Redaktion, Pressemitteilung Nr. 04/06 des EuGH vom 19.01.2006

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