21.11.2024
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Dokument-Nr. 11209

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil01.03.2011

EuGH: Geschlechts­s­pe­zi­fische Prämien und Leistungen in Versi­che­rungs­ver­trägen diskriminierendBerück­sich­tigung des Geschlechts von Versicherten als Risikofaktor ab 21. Dezember 2012 unzulässig

Die Berück­sich­tigung des Geschlechts von Versicherten als Risikofaktor in Versi­che­rungs­ver­trägen stellt eine Diskriminierung dar. Eine Abweichung von der Grundregel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen im Versi­che­rungs­sektor ist mit Wirkung vom 21. Dezember 2012 ungültig. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die Richtlinie 2004/113/EG untersagt jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienst­leis­tungen. So verbietet sie grundsätzlich die Berück­sich­tigung des Geschlechts als Kriterium für die Berechnung von Prämien und Leistungen nach dem 21. Dezember 2007 geschlossener Versi­che­rungs­verträge. Allerdings sieht sie in Abweichung davon vor, dass die Mitgliedstaaten ab diesem Datum Ausnahmen von der Regel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen zulassen können, sofern sie sicherstellen können, dass die zugrunde liegenden versi­che­rungs­ma­the­ma­tischen und statistischen Daten, auf die sich ihre Berechnungen stützen, verlässlich sind, regelmäßig aktualisiert werden und der Öffentlichkeit zugänglich sind. Diese Ausnahmen waren nur dann zulässig, wenn das nationale Recht die Regel der Geschlechts­neu­tralität bis dahin noch nicht vorsah. Fünf Jahre nach Umsetzung der Richtlinie, also zum 21. Dezember 2012, müssen die Mitgliedstaaten prüfen, inwieweit diese Ausnahmen noch gerechtfertigt sind, wobei die neuesten versi­che­rungs­ma­the­ma­tischen und statistischen Daten sowie der von der Kommission drei Jahre nach Umsetzung der Richtlinie vorgelegte Bericht zu berücksichtigen sind.

Kläger beantragen Nichti­g­er­klärung des belgischen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie

Die Association belge des consommateurs Test-Achats ASBL und zwei Privatpersonen erhoben vor dem belgischen Verfas­sungs­ge­richtshof Klage auf Nichti­g­er­klärung des belgischen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie. Im Rahmen jener Klage hat das belgische Gericht dem Gerichtshof die Frage nach der Vereinbarkeit der in der Richtlinie enthaltenen Ausnahme mit höherrangigem Recht, nämlich dem im Unionsrecht verbürgten Grundsatz der Gleichheit von Frauen und Männern, vorgelegt.

Unions­ge­setzgeber konnte Anwendung der Regel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen stufenweise mit angemessenen Übergangszeiten umsetzen

In seinem Urteil weist der Gerichtshof der Europäischen Union zunächst darauf hin, dass die Union nach Art. 8 AEUV bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinwirkt, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Bei der schrittweisen Verwirklichung dieser Gleichheit ist es der Unions­ge­setzgeber, der unter Berück­sich­tigung der Entwicklung der wirtschaft­lichen und sozialen Verhältnisse in der Union den Zeitpunkt seines Tätigwerdens bestimmt. Der Gerichtshof stellt klar, dass der Unions­ge­setzgeber in diesem Sinn in der Richtlinie vorgesehen hat, dass die Unterschiede bei den Prämien und Leistungen, die sich aus der Berück­sich­tigung des Faktors Geschlecht bei ihrer Berechnung ergeben, bis spätestens zum 21. Dezember 2007 abgeschafft werden mussten. Da jedoch zur Zeit des Erlasses der Richtlinie die Anwendung geschlechts­s­pe­zi­fischer versi­che­rungs­ma­the­ma­tischer Faktoren im Bereich des Versi­che­rungs­wesens weit verbreitet war, stand es dem Unions­ge­setzgeber frei, die Anwendung der Regel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen stufenweise mit angemessenen Übergangszeiten umzusetzen.

Richtlinie enthält keine Bestimmung über Anwendungsdauer von Unterschieden und macht unbefristetes Praktizieren von Ungleich­be­handlung möglich

Dazu weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie in Abweichung von der mit ihr eingeführten Grundregel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumte, vor dem 21. Dezember 2007 zu beschließen, proportionale Unterschiede für die Versicherten dann zuzulassen, wenn die Berück­sich­tigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versi­che­rungs­ma­the­ma­tischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Diese Möglichkeit wird fünf Jahre nach dem 21. Dezember 2007 überprüft, wobei einem Bericht der Kommission Rechnung zu tragen ist, doch dürfen die Mitgliedstaaten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, den Versicherern gestatten, diese Ungleich­be­handlung unbefristet zu praktizieren, da die Richtlinie keine Bestimmung über die Anwendungsdauer dieser Unterschiede enthält.

Verwirklichung des Ziels der Gleich­be­handlung von Frauen und Männern ohne Befristung der Ausnah­me­re­gelung verfehlt

Damit besteht nach Ansicht des Gerichtshofs die Gefahr, dass die in der Richtlinie vorgesehene Ausnahme von der Gleich­be­handlung von Frauen und Männern nach dem Unionsrecht unbefristet zulässig ist. Eine Bestimmung, die es den betreffenden Mitgliedstaaten gestattet, eine Ausnahme von der Regel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen unbefristet aufrecht­zu­er­halten, läuft jedoch der Verwirklichung des Ziels der Gleich­be­handlung von Frauen und Männern zuwider und ist daher nach Ablauf einer angemessenen Übergangszeit als ungültig anzusehen.

Ausnahme von Grundregel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen ungültig

Der Gerichtshof erklärt deshalb die Ausnahme von der Grundregel geschlechts­neu­traler Prämien und Leistungen im Versi­che­rungs­sektor für mit Wirkung vom 21. Dezember 2012 ungültig.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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