Dokument-Nr. 12383
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- NJW 1998, 3183Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1998, Seite: 3183
Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.07.1998
Sechs-Korn-Eier-Fall: Bei der Beurteilung über eine irreführende Lebensmittelverpackung ist auf den durchschnittlich informierten Verbraucher abzustellenEuGH entscheidet über Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1907/90 "über bestimmte Vermarktungsnormen für Eier"
Bei der Beurteilung, ob eine Angabe auf einer Lebensmittelverpackung irreführend ist, hat das nationale Gericht darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich Informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher diese Angabe wahrscheinlich auffassen wird. Dies hat der EuGH entschieden.
Die Klägerin zu 1 (Gut Springenheide GmbH) bringt unter der Bezeichnung "6-Korn - 10 frische Eier" Eier in Fertigpackungen in den Verkehr. Nach den Angaben der Klägerin beträgt der Futteranteil aus den sechs zur Fütterung verwandten Getreidearten 60 % der Futtermischung. Den Eierpackungen ist jeweils ein Einlegezettel beigefügt, auf dem die sich aus dieser Ernährung ergebenden Qualitäten der Eier gerühmt werden. Die Lebensmittelüberwachungsstelle übermittelte der Klägerin zu 1 zunächst mehrere Beanstandungen hinsichtlich dieser Bezeichnung und dieses Einlegezettels. Sie forderte sie dann mit Schreiben vom 24. Juli 1989 auf, beide nicht mehr zu verwenden. Gegen ihren Geschäftsführer, den Kläger zu 2, wurde im übrigen am 5. September 1990 ein Bußgeldbescheid erlassen.
Verwaltungsgericht stellt Verstoß gegen das Irreführungsverbot fest
Das Verwaltungsgericht Münster wies eine Feststellungsklage der Kläger mit Urteil vom 11. November 1992 mit der Begründung ab, dass die Bezeichnung und die Angaben auf dem Einlegezettel gegen das Irreführungsverbot des § 17 Absatz 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes verstießen.
Oberverwaltungsgericht: Käufer wird irregeführt
Die Berufung der Kläger gegen dieses Urteil blieb erfolglos. Das Berufungsgericht entschied nämlich, dass die Bezeichnung und der Einlegezettel gegen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die gemeinsame Marktorganisation für Eier verstießen. In diesem Rahmen lässt eine Gemeinschaftsverordnung aus dem Jahre 1990 "über bestimmte Vermarktungsnormen für Eier" auf Packungen werbewirksame Angaben zu, sofern sie nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen. Die Bezeichnung "6-Korn - 10 frische Eier", die zugleich eine Handelsmarke sei, und der dazugehörende Einlegezettel seien geeignet, einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Käuferschaft irrezuführen, da sie fälschlicherweise die Annahme nahelegten, die Hühner würden nur 6-Korn-Fütterung erhalten und die verkauften Eier hätten besondere Qualitäten.
Revision beim Bundesverwaltungsgericht
Die Kläger legten gegen dieses Urteil Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein. Nach Ansicht dieses Gerichts lässt sich die Vorschrift über werbewirksame Angaben auf zweierlei Weise auslegen. Sie könne dahin verstanden werden, daß für den irreführenden Charakter der Angaben auf die tatsächliche Erwartung der angesprochenen Verbraucher abzustellen sei; dann sei gegebenenfalls durch eine repräsentative Befragung der Verbraucher oder durch Sachverständigengutachten zu ermitteln, welche Erwartung die Verbraucher hegten. Es könne ihr aber auch ein objektivierter, allein juristisch zu interpretierender Käuferbegriff zugrunde liegen, der unabhängig von einer bestimmten Verbrauchererwartung sei. Das vorlegende Gericht möchte also wissen, auf welchen Verbraucher bei der Beurteilung, ob eine Angabe zur Förderung des Verkaufs von Eiern geeignet ist, den Käufer unter Verstoß gegen die Gemeinschschaftsverordnung von 1990 irrezuführen, abzustellen ist. Daher hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof der EG Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, die der Gerichtshof heute beantwortet.
EuGH: Bei der Frage der Irreführung ist auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständiger Durchschnittsverbraucher abzustellen
Unter Hinweis auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften, die jede Irreführung des Verbrauchers verhindern sollen, und auf seine Rechtsprechung entscheidet der Gerichtshof, dass das nationale Gericht bei der Beurteilung, ob eine Angabe zur Förderung des Verkaufs von Eiern geeignet ist, den Käufer irrezuführen, darauf abzustellen hat, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher diese Angabe wahrscheinlich auffassen wird. Hat das nationale Gericht besondere Schwierigkeiten, zu beurteilen, ob die betreffende Angabe irreführen kann, so verbietet das Gemeinschaftsrecht ihm jedoch nicht, dies nach Maßgabe seines nationalen Rechts durch ein Sachverständigengutachten oder eine Verbraucherbefragung zu ermitteln.
Es ist Sache des Bundesverwaltungsgerichts, diesen Grundsatz anzuwenden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.09.2011
Quelle: ra-online, EuGH (pm/pt)
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