15.11.2024
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Dokument-Nr. 7150

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Urteil16.12.2008Gerichtshof der Europäischen UnionC-210/06
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.12.2008

EU-Mitgliedstaat darf Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat verhindern

Ein Mitgliedstaat kann die Verlegung des Sitzes einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat der Union verhindern. Dagegen ermöglicht die Nieder­las­sungs­freiheit einer Gesellschaft die Verlegung in einen anderen Mitgliedstaat, indem sie sich in eine Gesell­schaftsform des Rechts dieses Staates umwandelt, ohne dass sie im Zuge der Umwandlung aufgelöst und abgewickelt werden muss, wenn das Recht des Aufnah­me­mit­glied­staats dies gestattet.

Cartesio ist eine Gesellschaft ungarischen Rechts mit Sitz in Baja (Ungarn). Sie ist u. a. in den Bereichen Humanressourcen, Sekretariat, Übersetzung, Unterricht und Bildung tätig. Am 11. November 2005 stellte Cartesio beim Bezirksgericht Bács-Kiskun als Handels­re­gis­ter­gericht den Antrag, die Verlegung ihres Sitzes nach Gallarate (Italien) zu bestätigen und die Sitzangabe im Handelsregister entsprechend zu ändern.

Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass eine in Ungarn gegründete Gesellschaft nach geltendem ungarischem Recht ihren Sitz nicht unter Beibehaltung des ungarischen Personalstatuts ins Ausland verlegen könne. Eine solche Verlegung erfordere, dass die Gesellschaft zunächst zu bestehen aufhöre und dann nach dem Recht des Landes, in das der Sitz verlegt werden solle, neu gegründet werde.

Cartesio legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Regionalgericht Szeged ein, das den Gerichtshof gefragt hat, ob die Bestimmung des ungarischen Rechts, die es einer ungarischen Gesellschaft verwehrt, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft ungarischen Rechts zu behalten, mit dem Gemein­schaftsrecht vereinbar ist.

Der Gerichtshof stellt fest, dass ein Mitgliedstaat in Ermangelung einer einheitlichen gemein­schafts­recht­lichen Regelung sowohl die Anknüpfung bestimmen kann, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem inner­staat­lichen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Nieder­las­sungs­freiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird.

Diese Befugnis umfasst die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungs­mit­glied­staats vorsieht.

Der Gerichtshof entscheidet daher, dass die Nieder­las­sungs­freiheit beim gegenwärtigen Stand des Gemein­schafts­rechts einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, es einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft zu verwehren, ihren Sitz unter Beibehaltung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des Rechts dieses Staates in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.

Der Fall einer solchen Sitzverlegung ist jedoch von dem Fall zu unterscheiden, dass eine Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des anwendbaren nationalen Rechts verlegt und dabei in eine dem nationalen Recht des zweiten Mitgliedstaats unterliegende Gesell­schaftsform umgewandelt wird. Denn die Nieder­las­sungs­freiheit ermöglicht es einer Gesellschaft, sich auf diese Art umzuwandeln, ohne dass sie im ersten Mitgliedstaat aufgelöst und abgewickelt werden muss, wenn das Recht des Aufnah­me­mit­glied­staats eine solche Umwandlung erlaubt, es sei denn, zwingende Gründe des Allge­mein­in­teresses rechtfertigen eine Beschränkung dieser Freiheit.

Zu den das Vorab­ent­schei­dungs­ver­fahren als solches betreffenden Fragen führt der Gerichtshof aus, dass gegen die Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der es den Gerichtshof um Vorab­ent­scheidung ersucht, in den Mitgliedstaaten die normalen Rechtsmittel des inner­staat­lichen Rechts gegeben sind. Im vorliegenden Fall sind die nationalen Rechts­vor­schriften über das Recht, gegen eine Entscheidung, mit der ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen beschlossen wird, Rechtsmittel einzulegen, dadurch gekennzeichnet, dass das Ausgangs­ver­fahren insgesamt beim vorlegenden Gericht anhängig bleibt und nur die Vorla­ge­ent­scheidung Gegenstand eines beschränkten Rechtsmittels ist. Bei solchen nationalen Rechts­vor­schriften ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Konsequenzen aus dem Urteil über das Rechtsmittel gegen die Vorla­ge­ent­scheidung zu ziehen. Daraus folgt, dass der Gerichtshof, auch im Interesse der Klarheit und der Rechts­si­cherheit, an die Entscheidung, mit der das Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen beschlossen worden ist, gebunden ist, solange sie nicht von dem Gericht, das sie erlassen hat, aufgehoben oder geändert worden ist, denn nur dieses Gericht kann eine solche Aufhebung oder Änderung beschließen. Demnach darf die Befugnis der nationalen Gerichte zur Anrufung des Gerichtshofs nicht durch die Anwendung von Rechts­vor­schriften über das Recht, gegen eine Entscheidung, mit der ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen beschlossen wird, Rechtsmittel einzulegen, in Frage gestellt werden, nach denen das Rechts­mit­tel­gericht vorin­sta­nz­lichen Gerichten aufgeben kann, ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen aufzuheben und das ausgesetzte nationale Verfahren fortzusetzen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 89/08 des EuGH vom 16.12.2008

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