15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen auf azurblauem Grund die zwölf goldenen Sterne, wie sie auch in der Europaflagge zu finden sind, wobei in der Mitte ein Paragraphenzeichen zu sehen ist.

Dokument-Nr. 9884

Drucken
Urteil01.07.2010Gerichtshof der Europäischen UnionC-194/08 und C-471/08
ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil01.07.2010

EuGH: Grundgehalt und Zulagen auch für Arbeit­neh­me­rinnen während Schwangerschaft und im Mutter­schafts­urlaubAnspruch auf Zulagen zum Ausgleich berufsbedingter Nachteile, die während Schwangerschaft nicht ausgeübt werden könne, besteht nicht

Arbeit­neh­me­rinnen, die aufgrund ihrer Schwangerschaft beurlaubt oder auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt sind, stehen ihr monatliches Grundentgelt und die Zulagen zu, die an ihre berufliche Stellung anknüpfen. Auf Zulagen und Vergütungen, mit denen die Nachteile ausgeglichen werden sollen, die mit der Ausübung bestimmter Tätigkeiten unter besonderen Umständen verbunden sind, haben sie hingegen keinen Anspruch, wenn sie diese Tätigkeiten nicht tatsächlich ausüben. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

Im Rahmen von zwei Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen aus Österreich und Finnland hatte der Gerichtshof über Fragen nach der Berechnung der Bezüge zu befinden, die Arbeit­neh­me­rinnen während ihrer Schwangerschaft oder ihres Mutter­schafts­urlaubs zu zahlen sind, wenn sie vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt oder beurlaubt werden.

Sachverhalt in Sachen Susanne Gassmayr

Susanne Gassmayr arbeitete vor ihrer Schwangerschaft als Assistenzärztin an der Univer­si­täts­klinik für Anästhesie Graz, wo sie neben ihrem Grundentgelt für Überstunden eine Journa­l­dienst­zulage bezog. Während ihrer Schwangerschaft wurde sie aufgrund der Vorlage eines medizinischen Zeugnisses, wonach ihr Leben oder ihre Gesundheit oder die ihres Kindes bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre, nicht mehr beschäftigt; anschließend nahm sie ihren Mutter­schafts­urlaub.

Zulage für beschäf­ti­gungslose Zeit verweigert

Da nach öster­rei­chischem Recht die Zahlung einer Journa­l­dienst­zulage an Personen, die nicht auch tatsächlich Journaldienste leisten, ausgeschlossen ist, wurde Frau Gassmayr die Zahlung dieser Zulage für die Zeit verweigert, in der sie nicht beschäftigt war.

Sachverhalt in Sachen Sanna Maria Parviainen

In der zweiten Rechtssache arbeitete Sanna Maria Parviainen vor ihrer Schwangerschaft als Kabinenchefin bei der Flugge­sell­schaft Finnair. Ein Großteil ihres Arbeitsentgelts bestand aus Zulagen, die an ihre leitende Position anknüpften oder mit denen die speziellen Nachteile ausgeglichen werden sollten, die mit der Arbeits­zeit­ge­staltung im Luftver­kehrs­sektor verbunden sind.

Keine Zulagen während Schwangerschaft bei Tätigkeit im Bereich des Bodenpersonals

Während der Schwangerschaft wurde ihr vorübergehend ein einer Bürotätigkeit entsprechender Arbeitsplatz am Boden zugewiesen, den sie bis zum Beginn ihres Mutter­schafts­urlaubs innehatte. Ihr monatliches Arbeitsentgelt verringerte sich mit dieser Umsetzung u. a. deshalb, weil sie keine Zulagen für ihre Funktion als Kabinenchefin mehr erhielt.

Nationale Gerichte befragen EuGH zur Zulässigkeit der Verweigerung von Zulagen­zah­lungen für Angestellten während der Schwangerschaft

Wegen der Verringerung ihres Arbeitsentgelts während der Schwangerschaft bzw. ihres Mutter­schafts­urlaubs leiteten die beiden Frauen Gerichts­ver­fahren gegen ihre jeweiligen Arbeitgeber ein. Der Verwal­tungs­ge­richtshof (Österreich) und das Helsingin Käräjäoikeus (erstin­sta­nz­liches Gericht Helsinki, Finnland) haben dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob es die Richtlinie über schwangere Arbeit­neh­me­rinnen1 den Arbeitgebern gestattet, diesen Arbeit­neh­me­rinnen die Zahlung bestimmter Zulagen zu verweigern, die sie vor ihrer Schwangerschaft erhalten hatten.

Zulagen, die zum Ausgleich von Nachteilen in Zusammenhang mit der Tätigkeit stehen und während der Schwangerschaft nicht ausgeübt werden können, müssen nicht gezahlt werden

Der Gerichtshof stellt fest, dass sowohl Frau Gassmayr als auch Frau Parviainen während der vorübergehenden Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz bzw. der Beurlaubung während der Schwangerschaft und des Mutter­schafts­urlaubs nicht mehr die Aufgaben ausüben konnten, die ihnen vor ihrer Schwangerschaft zugewiesen waren. Insoweit entscheidet der Gerichtshof, dass die Frau Gassmayr gezahlte Journa­l­dienst­zulage und bestimmte Zulagen, die Frau Parviainen erhielt, Bestandteile ihres Arbeitsentgelts sind, die davon abhängen, dass bestimmte Tätigkeiten unter besonderen Umständen ausgeübt werden, und mit denen die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Nachteile ausgeglichen werden sollen. Somit darf die Zahlung dieser Zulagen davon abhängig gemacht werden, dass die schwangere Arbeitnehmerin im Gegenzug bestimmte Leistungen tatsächlich erbringt.

Zulagen, die Bestandteil des Entgelts sind und an berufliche Stellung anknüpfen müssen auch während Schwangerschaft und Mutter­schafts­urlaub gezahlt werden

Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine schwangere Arbeitnehmerin, die aufgrund ihrer Schwangerschaft beurlaubt oder vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt wird, Anspruch auf Bezüge haben muss, die sich aus ihrem monatlichen Grundentgelt sowie den Bestandteilen ihres Entgelts und den Zulagen zusammensetzen, die an ihre berufliche Stellung anknüpfen, wie etwa die Zulagen, die an ihre leitende Position, an die Dauer ihrer Betrie­bs­zu­ge­hö­rigkeit und an ihre beruflichen Qualifikationen anknüpfen.

Bei Ersatz-Arbeitsplatz hat Schwangere Anspruch auf die mit dem Arbeitsplatz verbundenen Entgelt­be­standteile und Zulagen

Zudem darf das Entgelt, das einer schwangeren Arbeitnehmerin, die vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt wird, fortzuzahlen ist, jedenfalls nicht geringer sein als das Entgelt, das Arbeitnehmern gezahlt wird, die auf einem solchen Arbeitsplatz beschäftigt sind. Für die Dauer dieser Beschäftigung hat die schwangere Arbeitnehmerin nämlich grundsätzlich auch Anspruch auf die mit diesem Arbeitsplatz verbundenen Entgelt­be­standteile und Zulagen.

Mindestbezüge müssen vergleichbarem Lohn im Falle einer Unterbrechung der Erwer­b­s­tä­tigkeit aus gesund­heit­lichen Gründen entsprechen

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass sich Arbeit­neh­me­rinnen während eines Mutter­schafts­urlaubs in einer Situation befinden, die nicht mit der Situation von Arbeitnehmern, die tatsächlich an ihrem Arbeitsplatz arbeiten, gleichgesetzt werden kann. Somit können sie weder die Fortzahlung ihres Gesamt­a­r­beits­entgelts noch die Zahlung einer Journa­l­dienst­zulage beanspruchen. Im Übrigen sieht die Richtlinie selbst vor, dass die diesen Frauen zu zahlenden Mindestbezüge dem entsprechen, was die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwer­b­s­tä­tigkeit aus gesund­heit­lichen Gründen erhalten würde.

Mitgliedstaaten steht frei, Schwangeren Gesamt­a­r­beits­entgelt und damit höhere Bezüge fortzuzahlen, als Richtlinie garantiert

Der Gerichtshof hebt schließlich die Notwendigkeit hervor, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie und die mit ihr verfolgten Ziele zu beachten, nämlich den Schutz der Gesundheit der schwangeren Arbeit­neh­me­rinnen, der Wöchnerinnen und der stillenden Arbeit­neh­me­rinnen, und führt aus, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, den Arbeit­neh­me­rinnen, die während ihrer Schwangerschaft beurlaubt oder vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden oder sich im Mutter­schafts­urlaub befinden, ihr Gesamt­a­r­beits­entgelt und damit höhere Bezüge fortzuzahlen, als sie die Richtlinie garantiert.

Quelle: ra-online, EuGH

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil9884

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI