15.11.2024
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Dokument-Nr. 6389

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil17.07.2008

Europäischer Gerichtshof beanstandet italienische Mehr­wertsteuer­amnestieVerstoß gegen das Gemein­schaftsrecht

Der allgemeine und undif­fe­ren­zierte Verzicht auf die Überprüfung der steuerbaren Umsätze begünstigt die Steuer­pflichtigen, die sich eine Steuer­hin­ter­ziehung haben zuschulden kommen lassen.

Die italienischen Rechts­vor­schriften geben für die Jahre 1998 bis 2001 den Mehrwert­steu­er­pflichtigen die Möglichkeit, die abgegebenen Erklärungen durch Vorlage einer „ergänzenden Mehrwert­steu­e­r­er­klärung“ und Zahlung des zusätzlich geschuldeten Mehrwert­steu­er­betrags zu berichtigen, der unter Anwendung der im jeweiligen Besteu­e­rungs­zeitraum anwendbaren Bestimmungen berechnet wird.

"Automatische Bereinigung"

Ein „Automatische Bereinigung“ genanntes Verfahren erlaubt Steuer­pflichtigen, die keine Erklärung eingereicht haben, einen Betrag in Höhe von 2 % (oder weniger) der für die Lieferung von Gegenständen und für Dienst­leis­tungen geschuldeten Mehrwertsteuer und einen Betrag in Höhe von 2 % der im selben Zeitraum abgezogenen Mehrwertsteuer zu zahlen.

Steuerliche Sanktionen entfallen

Beide Mechanismen führen dazu, dass die administrativen steuerlichen Sanktionen entfallen, eine strafrechtliche Ahndung gegenüber dem Steuer­pflichtigen ausgeschlossen ist und jede Steuerprüfung unterbleibt (allerdings – für das erstgenannte Verfahren – begrenzt auf das Doppelte des in der ergänzenden Erklärung angegebenen Mehrwert­steu­er­betrags).

Die Kommission trägt vor, dass Italien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Sechsten Mehrwert­steu­er­richtlinie und dem allgemeinen Gebot der loyalen Zusammenarbeit verstoßen habe, dass es ausdrücklich und allgemein vorgesehen habe, auf die Überprüfung der in mehreren Besteu­e­rungs­zeit­räumen getätigten steuerbaren Umsätze zu verzichten. Mit der Richtlinie sollten die nationalen Steuer­ver­wal­tungen mit den erforderlichen Kontrol­l­in­stru­menten ausgestattet werden, um mittels einer wirksamen Überprüfung und Bekämpfung der Steuer­hin­ter­ziehung eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen. Ein Mitgliedstaat dürfe sich nicht einseitig der Verpflichtung entziehen, bestimmte Kategorien steuerbarer Umsätze der Mehrwertsteuer zu unterwerfen.

EuGH: Steuer­pflichtige müssen möglichst gleichbehandelt werden

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, alle Rechts- und Verwal­tungs­vor­schriften zu erlassen, die erforderlich sind, um die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten. Zwar verfügen die Mitgliedstaaten beim Einsatz der ihnen zu Gebote stehenden Mittel über einen gewissen Spielraum, doch sind sie verpflichtet, eine wirksame Erhebung der Eigenmittel der Gemeinschaft zu garantieren und bei der Behandlung der Steuer­pflichtigen keine bedeutsamen Unterschiede zu schaffen.

Die italienischen Rechts­vor­schriften bieten den Steuer­pflichtigen einen starken Anreiz, entweder lediglich einen Teil der tatsächlichen Schuld anzugeben oder sich durch Zahlung eines pauschalen Betrags anstelle eines Prozentsatzes des erzielten Umsatzes jeder Kontrolle und jeder Sanktion zu entziehen.

EuGH: Zwischen den tatsächlich geschuldeten Beträgen und denjenigen, die die durch die steuerliche Amnestie erhoben werden, besteht erhebliches Ungleichgewicht

Der Gerichtshof stellt fest, dass das erhebliche Ungleichgewicht zwischen den tatsächlich geschuldeten Beträgen und denjenigen, die die durch die steuerliche Amnestie begünstigten Steuer­pflichtigen entrichten, nahezu zu einer Steuerbefreiung führt, die durch ihr Ausmaß das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Mehrwert­steu­er­systems schwerwiegend beeinträchtigt und den gemeinsamen Markt betrifft, da in Italien die Steuer­pflichtigen darauf hoffen können, einen großen Teil ihrer Steuerschulden nicht begleichen zu müssen.

EuGH: Steueramnestie war nicht notwendig

Der Gerichtshof weist die von Italien angeführte Rechtfertigung zurück, wonach es die Steueramnestie der Staatskasse ermöglicht habe, sofort und ohne Einleitung langwieriger Gerichts­ver­fahren einen Teil der ursprünglich nicht erklärten Mehrwertsteuer zu vereinnahmen. Der Gerichtshof ist vielmehr der Ansicht, dass es die fragliche Maßnahme – die sehr kurz nach dem Ablauf der für die Steuer­pflichtigen geltenden Fristen für die Entrichtung der Mehrwertsteuer ergangen ist und die Entrichtung eines im Vergleich zur tatsächlich geschuldeten Steuer sehr geringen Betrages verlangt – den Steuer­pflichtigen ermöglicht, sich ihren Verpflichtungen auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer endgültig zu entziehen, obwohl die nationalen Steuerbehörden die Unregel­mä­ßig­keiten hätten aufdecken können.

Der Gerichtshof beanstandet somit den allgemeinen und undif­fe­ren­zierten Verzicht auf die Überprüfung der in mehreren Besteu­e­rungs­zeit­räumen bewirkten steuerbaren Umsätze, durch den die Italienische Republik gegen die Sechste Mehrwert­steu­er­richtlinie und die Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit verstoßen hat.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 55/08 des EuGH vom 17.07.2008

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