14.11.2024
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Dokument-Nr. 7148

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Urteil16.12.2008Gerichtshof der Europäischen UnionC-127/07
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.12.2008

EU-Emissi­ons­han­dels­richtlinie verstößt nicht gegen den Gleich­heits­grundsatzFranzösische Stahl­un­ter­nehmen werden nicht benachteiligt, da Emissionshandel erst erprobt wird

Die Richtlinie über ein System für den Handel mit Treib­h­aus­ga­s­e­mis­si­ons­zer­ti­fikaten in der Gemeinschaft verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz. Die durch die Nicht­ein­be­ziehung des Chemiesektors und des Nicht­ei­sen­me­ta­ll­sektors in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie verursachte unter­schiedliche Behandlung kann als gerechtfertigt betrachtet werden.

Der Gemein­schafts­ge­setzgeber erließ am 13. Oktober 2003 unter Beachtung der von der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten übernommenen Gesamt­ver­pflichtung aus dem Protokoll von Kyoto, dessen Ziel es ist, die Gesam­te­mis­sionen der Treibhausgase, zu denen Kohlendioxid (CO2) gehört, im Zeitraum von 2008 bis 2012 um mindestens 5 % unter das Niveau dieser Emissionen von 1990 zu senken, eine Richtlinie über ein System für den Handel mit Traub­h­aus­ga­se­mis­si­ons­zer­ti­fikaten in der Gemeinschaft.

Beim Conseil d’État (Frankreich) ist eine von Arcelor Atlantique et Lorraine u. a. erhobene Klage auf Aufhebung des Dekrets vom 15. April 2004 anhängig, das die Richtlinie umsetzt. Die Klägerinnen rügen u. a. eine Verletzung des verfas­sungs­recht­lichen Gleich­heits­grund­satzes, da die Richtlinie eine unter­schiedliche Behandlung von Anlagen des Stahlsektors, die dem System für den Handel mit Treib­h­aus­gas­zer­ti­fikaten unterlägen, und der Aluminium- sowie der Kunst­st­of­f­in­dustrie, die zwar ebenfalls Treibhausgase ausstießen, diesem System jedoch nicht unterlägen, herbeiführe.

Der Conseil d’État ist der Ansicht, dass sich der Stahl-, der Kunststoff- und der Aluminiumsektor in einer vergleichbaren Lage befänden, und stellt deshalb dem Gerichtshof die Frage, ob der Gemein­schafts­ge­setzgeber den Gleich­heits­grundsatz durch eine ungerecht­fertigte unter­schiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte verletzt hat.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass der allgemeine Gleich­heits­grundsatz als allgemeiner Grundsatz des Gemein­schafts­rechts besagt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unter­schiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist. Zur Beurteilung der Gültigkeit der Richtlinie im Hinblick auf den Gleich­heits­grundsatz prüft der Gerichtshof zunächst, ob sich die erwähnten wirtschaft­lichen Tätigkeiten in Anbetracht des Gegenstands der Richtlinie, deren Ziele und die Grundsätze, auf die sich die Politik der Gemeinschaft im Umweltbereich stützt, in einer vergleichbaren Lage befinden.

Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die verschiedenen Quellen der Emission von Treibhausgasen, die einer wirtschaft­lichen Tätigkeit zuzuordnen sind, grundsätzlich in einer vergleichbaren Lage befinden, da jede Emission von Treibhausgasen zu einer gefährlichen Störung des Klimas beitragen kann und da jeder Wirtschafts­sektor, der solche Gase emittiert, zum Funktionieren des Systems des Handels mit Zertifikaten beitragen kann.

Der Chemiesektor und der Sektor der Nicht­ei­sen­metalle, zu dem der Kunststoff- bzw. der Aluminiumsektor gehört, und der Stahlsektor befinden sich daher in einer vergleichbaren Situation und werden unterschiedlich behandelt.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Unterwerfung bestimmter Sektoren unter das System für den Handel mit Zertifikaten in der Gemeinschaft für die betreffenden Unternehmen zum einen bedeutet, dass sie über eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen verfügen müssen, und zum anderen, dass sie unter Androhung finanzieller Sanktionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine den Gesam­te­mis­sionen ihrer Anlagen entsprechende Menge von Zertifikaten abgeben müssen.

Somit schafft die Einbeziehung einer wirtschaft­lichen Tätigkeit in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie für die betreffenden Betreiber einen Nachteil gegenüber denjenigen, die hierin nicht einbezogene Tätigkeiten ausüben. Selbst unterstellt, dass die Unterwerfung einer wirtschaft­lichen Tätigkeit unter ein solches System nicht systematisch zu nachteiligen wirtschaft­lichen Folgen führt, kann das Vorliegen eines Nachteils jedoch nicht verneint werden.

Schließlich prüft der Gerichtshof, ob die unter­schiedliche Behandlung des Stahlsektors einerseits und der Sektoren Chemie und Nicht­ei­sen­metalle andererseits dennoch objektiv gerechtfertigt ist. In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof dem Gemein­schafts­ge­setzgeber im Rahmen der Ausübung der ihm übertragenen Zuständigkeiten ein weites Ermessen zugebilligt, wenn seine Tätigkeit politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen beinhaltet und wenn er komplexe Beurteilungen und Prüfungen vornehmen muss. Er ist jedoch verpflichtet, seine Entscheidung auf Kriterien zu stützen, die objektiv sind und in angemessenem Verhältnis zu dem mit der in Rede stehenden Regelung verfolgten Ziel stehen, und dabei alle sachlichen Umstände sowie die zum Zeitpunkt des Erlasses der in Rede stehenden Maßnahme verfügbaren technischen und wissen­schaft­lichen Daten zu berücksichtigen.

Bei der Ausübung seiner Beurtei­lungs­be­fugnis muss der Gemein­schafts­ge­setzgeber neben dem Hauptzweck des Umweltschutzes den betroffenen Interessen in vollem Umfang Rechnung tragen.

Im vorliegenden Fall durfte sich der Gemein­schafts­ge­setzgeber in Anbetracht der Neuheit und der Komplexität des durch die Richtlinie eingeführten Systems berech­tig­terweise auf ein schrittweises Vorgehen bei der Einführung des Systems für den Handel mit Zertifikaten stützen und vorsehen, dass die eingeführten Maßnahmen insbesondere unter schrittweiser Erweiterung des Anwen­dungs­be­reichs der Richtlinie überprüft werden.

Zwar verfügt der Gemein­schafts­ge­setzgeber über einen weiten Beurtei­lungs­spielraum im Rahmen eines schrittweisen Vorgehens, doch kann ihn dieser nicht davon befreien, sich für die Bestimmung der Sektoren, die er als geeignet erachtet, von Anfang an in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie einbezogen zu werden, objektiver Kriterien zu bedienen, die auf den zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie verfügbaren technischen und wissen­schaft­lichen Daten beruhen.

Somit durfte der Gemein­schafts­ge­setzgeber den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie begrenzen und brauchte den Chemiesektor, der eine besonders hohe Zahl von Anlagen, nämlich rund 34 000, umfasst und dessen Einbeziehung die Steuerung des Systems für den Handel mit Zertifikaten erschwert und den Verwal­tungs­aufwand erhöht hätte, was möglicherweise das Funktionieren dieses Systems bei seiner Einführung gestört hätte, nicht einzubeziehen. Ferner ist der Unterschied der Menge direkter Emissionen zwischen dem Sektor der Nicht­ei­sen­metalle, der sich 1990 auf 16,3 Millionen t CO2 belief, und demjenigen des Stahlsektors, der sich auf 174,8 Millionen t CO2 belief, so erheblich, dass die unter­schiedliche Behandlung dieser Sektoren als gerechtfertigt betrachtet werden kann.

Daher kann die Nicht­ein­be­ziehung des Chemiesektors und des Nicht­ei­sen­me­ta­ll­sektors in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie in der ersten Anwendungsphase als gerechtfertigt betrachtet werden.

Infolgedessen hat die Prüfung der vom Conseil d’État vorgelegten Frage nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie berühren könnte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 91/08 des EuGH vom 16.12.2008

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