15.11.2024
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Dokument-Nr. 1892

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Urteil09.02.2006Gerichtshof der Europäischen UnionC-127/04
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil09.02.2006

Tochter­ge­sell­schaft kann für fehlerhaftes Produkt der Mutter­ge­sell­schaft haften

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass auf dem Gebiet der Haftung für fehlerhafte Produkte der Begriff des Herstellers eine mit dem Vertrieb befasste Tochter­ge­sell­schaft umfassen kann.

Ist eines der Glieder der Vertriebskette für Medikamente eng mit dem Hersteller verbunden, so ist zu prüfen, ob diese Verbindung zur Folge hat, dass die fragliche Einrichtung in Wirklichkeit in den Prozess der Herstellung des betreffenden Produkts einbezogen ist. Im November 1992 wurde der Kläger als Kind in einer Arztpraxis im Vereinigten Königreich mit einer Dosis Antihaemophilus-Impfstoff geimpft. Im Anschluss an diese Impfung erlitt er eine schwere Schädigung.

Acht Jahre später erhob der Kläger gegen die Aventis Pasteur MSD Ltd (APMSD), eine Gesellschaft englischen Rechts, eine Schaden­s­er­satzklage mit der Behauptung, dass seine Schädigung durch einen von der Beklagten hergestellten fehlerhaften Impfstoff verursacht worden sei. APMSD war eine 100 prozentige Tochter­ge­sell­schaft der Aventis Pasteur SA (APSA), einer französischen Gesellschaft, und vertrieb deren Produkte im Vereinigten Königreich.

Im Oktober 2002 wurde eine zweite Klage erhoben, diesmal gegen APSA. Der Kläger teilte hierzu mit, er habe erst im Sommer 2002 erfahren, dass der Hersteller des Produkts in Wirklichkeit nicht APMSD, sondern APSA sei. Diese machte geltend, dass die Klage gegen sie verjährt sei, da sie nach Ablauf der in der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte1 vorgesehenen Verjäh­rungsfrist von zehn Jahren erhoben worden sei.

Der High Court of Justice (England & Wales) (Queen’s Bench Division), bei dem diese Rechtssache anhängig ist, fragt den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ob in dem Fall, dass ein Produkt vom herstellenden Unternehmen an eine mit dem Vertrieb befasste Tochter­ge­sell­schaft übergeben wird, die es dann an einen Dritten verkauft, dieses Produkt zu dem Zeitpunkt in den Verkehr gebracht ist, zu dem es vom herstellenden Unternehmen an die Tochter­ge­sell­schaft übergeben wird, oder aber zum Zeitpunkt seiner Übergabe durch diese an den Dritten. Außerdem möchte das nationale Gericht wissen, ob in einem solchen Fall die Klage als gegen das herstellende Unternehmen gerichtet angesehen und das ursprünglich verklagte Unternehmen als Beklagter durch das herstellende Unternehmen ersetzt werden kann.

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Begriff des „Inver­kehr­bringens“, wie er in der Vorschrift über die Verjährung der dem Geschädigten nach der Richtlinie zustehenden Ansprüche verwendet wird, in der Richtlinie nicht definiert ist. Diese Vorschrift hat neutralen Charakter, da sie den Erfordernissen der Rechts­si­cherheit genügen soll, und ist anhand objektiver Kriterien auszulegen. Ein Produkt ist daher als in den Verkehr gebracht anzusehen, wenn es den beim Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchs­fertigem Zustand öffentlich angeboten wird.

Ist jedoch eines der Glieder der Vertriebskette eng mit dem Hersteller verbunden, wie etwa eine 100 prozentige Tochter­ge­sell­schaft des Herstellers, so ist zu prüfen, ob diese Verbindung zur Folge hat, dass die fragliche Einrichtung in Wirklichkeit in den Prozess der Herstellung des betreffenden Produkts einbezogen ist. Bei der Beurteilung einer solchen engen Verbindung darf nicht darauf abgestellt werden, ob es sich um unter­schiedliche juristische Personen handelt oder nicht. Der Umstand, dass die Produkte einer Tochter­ge­sell­schaft in Rechnung gestellt werden und dass diese den Preis wie jeder andere Käufer entrichtet, ist nicht entscheidend. Ebenso wenig kommt es darauf an, welche Einrichtung als Eigentümerin der Produkte anzusehen ist. Es ist Sache der nationalen Gerichte, anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen, ob die Verbindungen zwischen dem Hersteller und einer anderen Einrichtung so eng sind, dass der Begriff des Herstellers auch diese andere Einrichtung umfasst und die Übergabe des Produkts durch die eine Einrichtung an die andere nicht sein Inver­kehr­bringen bewirkt.

Was schließlich die Möglichkeit angeht, das ursprünglich verklagte Tochter­un­ter­nehmen als Beklagten durch das herstellende Unternehmen zu ersetzen, gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass sich grundsätzlich nach nationalem Recht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Parteiwechsel zulässig ist, wobei der Anwen­dungs­bereich des Begriffs des Herstellers im Sinne der Richtlinie 85/374 zu beachten ist.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH vom 09.02.2006

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