21.11.2024
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Dokument-Nr. 5039

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Urteil23.10.2007Gerichtshof der Europäischen UnionC-11/06, C-12/06
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil23.10.2007

EuGH: Deutsche haben ab dem 1. Semester des Auslands­s­tudiums Anspruch auf BAföGBeschränkung verstößt gegen Freizügigkeit der Unionsbürger

Die Bestimmung, die die Gewährung von Ausbil­dungs­för­derung für ein Studium in einem anderen Mitgliedstaat davon abhängig macht, dass mit diesem Studium ein mindestens einjähriges Studium in Deutschland fortgesetzt wird, ist geeignet, Unionsbürger von der Inanspruchnahme der Freizügigkeit abzuhalten. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Frau Morgan, eine deutsche Staatsbürgerin, besuchte das Gymnasium in Deutschland und zog nach bestandener Abiturprüfung nach Großbritannien, wo sie ein Jahr als Au-pair-Kraft arbeitete, bevor sie dort ein Hochschul­studium aufnahm, für das sie bei den deutschen Behörden Ausbil­dungs­för­derung beantragte. Diese Förderung wurde ihr verweigert, weil die deutsche Regelung ihre Gewährung davon abhängig macht, dass die Ausbildung die Fortsetzung eines mindestens einjährigen Besuchs einer deutschen Ausbil­dungs­stätte darstellt.

Frau Bucher, ebenfalls deutsche Staats­an­ge­hörige, wohnte bei ihren Eltern in Bonn, bis sie sich dafür entschied, nach Düren, einer deutschen Stadt nahe der Grenze zu den Niederlanden, umzuziehen und ein Studium in der nieder­län­dischen Stadt Heerlen aufzunehmen. Frau Bucher beantragte Ausbil­dungs­för­derung bei den zuständigen Behörden in Düren; diese Förderung wurde ihr versagt, weil sie keinen "ständigen" Wohnsitz an einem grenznahen Ort habe, wie dies die deutsche Regelung verlange.

Das Verwal­tungs­gericht Aachen, bei dem die beiden Studentinnen Klage erhoben, hat den Gerichtshof um Beantwortung der Frage ersucht, ob der Voraussetzung, dass mit dem Studium im Ausland eine mindestens einjährigen Ausbildung in Deutschland fortgesetzt wird, die Freizügigkeit der Unionsbürger entgegensteht. Bei Bejahung dieser Frage hätte auch die Klage von Frau Bucher Erfolg.

In seinem Urteil erinnert der Gerichtshof daran, dass zwar die Mitgliedstaaten für die Festlegung der Lehrinhalte und die Gestaltung ihrer jeweiligen Bildungssysteme zuständig sind, dass diese Zuständigkeit jedoch unter Beachtung des Gemein­schafts­rechts, insbesondere der Freizügigkeit der Unionsbürger, ausgeübt werden muss.

Wenn ein Mitgliedstaat ein System der Ausbil­dungs­för­derung, wonach Auszubildende bei einer Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat eine Ausbil­dungs­för­derung in Anspruch nehmen können, vorsieht, hat er demnach dafür Sorge zu tragen, dass die Modalitäten der Bewilligung dieser Förderung die Freizügigkeit nicht ungerecht­fertigt beschränken.

Die doppelte Voraussetzung, eine mindestens einjährige Ausbildung in Deutschland absolviert zu haben und ausschließlich diese Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat fortzusetzen, ist jedoch wegen der persönlichen Unannehm­lich­keiten, zusätzlichen Kosten und etwaigen Verzögerungen, die sie mit sich bringt, geeignet, Unionsbürger vom Verlassen Deutschlands abzuhalten, um einer Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat nachzugehen. Sie stellt daher eine Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger dar.

Zur Rechtfertigung der Beschränkung der Freizügigkeit

Zur Rechtfertigung des Erfordernisses einer ersten Ausbil­dungsphase in Deutschland sind vor dem Gerichtshof mehrere Argumente vorgetragen worden.

Der Gerichtshof räumt ein, dass das Bestreben, sicherzustellen, dass die Studenten ihr Studium rasch abschließen, einen legitimen Zweck im Rahmen der Organisation des Bildungssystems darstellen kann. Das Erfordernis einer ersten Ausbil­dungsphase in Deutschland erscheint jedoch zur Erreichung dieses Zwecks nicht geeignet.

Das Erfordernis der Fortsetzung der Ausbildung in Deutschland durch diejenige im Ausland ist dem Ziel nicht angemessen, die Studenten in die Lage zu versetzen, zu prüfen, ob sie für ihr Studium "die richtige Wahl" getroffen haben. Dieses Erfordernis kann nämlich Studenten daran hindern, in einem anderen Mitgliedstaat einer anderen Ausbildung als der in Deutschland absolvierten nachzugehen. Bei Ausbil­dungs­gängen, für die es in Deutschland keine Entsprechung gibt, werden die betroffenen Studenten gezwungen, zwischen dem Verzicht auf die vorgesehene Ausbildung und dem Verlust der Ausbil­dungs­för­derung zu wählen.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass ein Mitgliedstaat, um zu verhindern, dass die Gewährung von Ausbil­dungs­för­derung an Studenten, die ein Studium in anderen Mitgliedstaaten absolvieren möchten, zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann, grundsätzlich berechtigt ist, eine solche Förderung nur Studenten zu gewähren, die nachgewiesen haben, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in seine Gesellschaft integriert haben. Das Erfordernis einer ersten Ausbil­dungsphase ist jedoch zu allgemein und einseitig, da es einem Gesichtspunkt unangemessen hohe Bedeutung beimisst, der nicht notwendig für den Grad der Integration in die Gesellschaft dieses Mitgliedstaats zum Zeitpunkt der Beantragung der Ausbil­dungs­för­derung repräsentativ ist.

Der Gerichtshof verwirft auch das Vorbringen, das Erfordernis einer ersten Ausbil­dungsphase sei notwendig, um die Kumulierung von durch verschiedene Mitgliedstaaten gewährten Beihilfen zu verhindern. Dieses Erfordernis zielt, so das Urteil, keineswegs darauf ab, eine etwaige Kumulierung zu verhindern oder anzurechnen. Daher kann nicht geltend gemacht werden, dass es für sich genommen geeignet oder notwendig wäre, um eine Kumulierung solcher Beihilfen zu verhindern.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass die Beschränkung der Freizügigkeit mit der geltend gemachten Begründung nicht zu rechtfertigen ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 77/07 des EuGH vom 23.10.2007

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