Dokument-Nr. 5333
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil18.12.2007
EuGH erläutert freien Kapitalverkehr zwischen EU-Staaten und Drittländern
Wird ein Steuervorteil von einem Mitgliedstaat von der Erfüllung von Voraussetzungen abhängig gemacht, deren Beachtung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von einem Drittland eingeholt werden, so ist es grundsätzlich gerechtfertigt, dass dieser Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt, wenn es sich als unmöglich erweist, diese Auskünfte von diesem Land zu erhalten.
Das schwedische Recht räumt den in Schweden wohnhaften Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung für Dividenden ein, die in Form von Aktien einer Tochtergesellschaft von einer in Schweden oder in einem anderen Mitgliedstaat des EWR niedergelassenen Aktiengesellschaft ausgeschüttet werden, versagt ihnen aber diese Befreiung, wenn eine solche Ausschüttung von einer Gesellschaft ausgeht, die in einem Drittland, das nicht Mitglied des EWR ist, niedergelassen ist, es sei denn, dieses Land hat mit Schweden ein Abkommen geschlossen, in dem der Austausch von Informationen vorgesehen ist.
A ist Aktionär der Gesellschaft X, die ihren Gesellschaftssitz in der Schweiz hat und beabsichtigt, eine Ausschüttung in Form von Aktien vorzunehmen, die sie an einer ihrer Tochtergesellschaften hält. A beantragte beim Skatterättsnämnd (Steuerrechtsausschuss) einen Vorbescheid über die Frage, ob eine solche Ausschüttung von der Einkommensteuer befreit ist. Der Skatterättsnämnd antwortete darauf, dass die von X beabsichtigte Ausschüttung in Form von Aktien nach den Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr von der Einkommensteuer befreit sein müsse.
Das Skatteverk vertrat die Auffassung, dass die Vorschriften über den freien Kapitalverkehr in Bezug auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern nicht klar seien, und legte gegen die Entscheidung des Skatterättsnämnd Rechtsmittel beim Regeringsrätt ein; dieses hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage vorgelegt, ob die schwedischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
In Bezug auf Kapitalbewegungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Vorschriften über den freien Kapitalverkehr vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden und zur Unanwendbarkeit der diesem zuwiderlaufenden nationalen Vorschriften führen können, und zwar unabhängig von der Kategorie der betroffenen Kapitalbewegungen.
Der Gerichtshof räumt ein, dass mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs mit Drittländern andere Ziele verfolgt werden können als die Verwirklichung des Binnenmarkts, wie insbesondere die Ziele, die Glaubwürdigkeit der einheitlichen Gemeinschaftswährung auf den Weltfinanzmärkten und die Aufrechterhaltung der Finanzzentren von weltweiter Bedeutung in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Er stellt jedoch fest, dass die Mitgliedstaaten den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs in demselben Artikel und mit den gleichen Worten für den Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft und für den die Beziehungen mit dritten Ländern betreffenden Kapitalverkehr festgelegt haben, wobei sie Schutzklauseln und Ausnahmeregelungen vorgesehen haben, die spezifisch für Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern gelten. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann das Ausmaß, in dem die Mitgliedstaaten befugt sind, auf Kapitalbewegungen bestimmte beschränkende Maßnahmen anzuwenden, nicht bestimmt werden, ohne den Umstand zu berücksichtigen, dass Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern in einem anderen rechtlichen Rahmen ablaufen als solche, die innerhalb der Gemeinschaft stattfinden. Aufgrund des Grades der unter den Mitgliedstaaten der Union bestehenden rechtlichen Integration, insbesondere angesichts der gesetzgeberischen Maßnahmen der Gemeinschaft in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen nationalen Steuerbehörden ist die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten mit innerhalb der Gemeinschaft grenzüberschreitenden Bezügen nicht immer mit der Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten vergleichbar, die die Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten berühren. Es lässt sich außerdem nicht ausschließen, dass ein Mitgliedstaat beweisen kann, dass eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern aus einem bestimmten Grund gerechtfertigt ist, auch wenn dieser Grund keine überzeugende Rechtfertigung für eine Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen Mitgliedstaaten darstellen würde.
Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass eine gesetzliche Regelung wie die schwedische bewirkt, dass in Schweden wohnende Steuerpflichtige davon abgehalten werden, ihr Kapital in außerhalb des EWR niedergelassenen Gesellschaften anzulegen. Da die Dividenden, die diese an in Schweden wohnende Personen ausschütten, steuerlich ungünstiger behandelt werden als solche, die von einer in einem Mitgliedstaat des EWR niedergelassenen Gesellschaft ausgeschüttet werden, sind die Aktien dieser Gesellschaften für in Schweden wohnende Anleger weniger attraktiv als diejenigen von Gesellschaften, die in einem solchen Staat niedergelassen sind. Eine solche Regelung führt daher zu einer Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern.
Der Gerichtshof weist aber darauf hin, dass die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle zu gewährleisten, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist, der eine solche Beschränkung rechtfertigen kann, wenn die betreffende Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, also geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das dazu Erforderliche hinausgeht.
In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass ein Mitgliedstaat sich nicht auf die Unmöglichkeit, die Zusammenarbeit eines anderen Mitgliedstaats bei der Durchführung von Ermittlungen oder der Beschaffung von Auskünften zu verlangen, berufen kann, um die Versagung eines Steuervorteils zu rechtfertigen. In Anbetracht des unterschiedlichen Rahmens, in den sich der Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern einfügt, kann diese Betrachtungsweise jedoch nicht in vollem Umfang als Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern übertragen werden.
Der Gerichtshof stellt nämlich fest, dass es dann, wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Verpflichtungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittlands eingeholt werden, grundsätzlich gerechtfertigt ist, dass dieser Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung dieses Drittlands zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweist, diese Auskünfte von diesem Land zu erhalten. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die schwedische Steuerverwaltung in der Lage ist, die Beachtung der Voraussetzungen zu prüfen, die das schwedische Recht für die Befreiung der Dividenden von der Steuer aufstellt, und ob das von Schweden mit der Schweiz geschlossene Abkommen es der schwedischen Steuerverwaltung ermöglicht, die Auskünfte zu erhalten, die sie benötigt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.12.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 99/07 des EuGH vom 18.12.2007
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