Gemäß § 242 Abs. 9 Satz 1 des Baugesetzbuches (BauGB) können für Erschließungsanlagen oder deren Teile, die vor dem Wirksamwerden des Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland bereits hergestellt waren, Erschließungsbeiträge nicht erhoben werden, sondern nur – in der Regel niedrigere – Ausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz des jeweiligen Landes. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Erschließungsanlagen oder deren Teile bereits hergestellt, wenn sie vor dem genannten Zeitpunkt "einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellt" waren.
Der in einer Gemeinde in Sachsen-Anhalt wohnende Kläger wandte sich gegen die Erhebung eines Erschließungsbeitrages. Die in den 1930er Jahren angelegte Straße war in den 1990er Jahren mit einer festen Straßendecke, einem Gehweg und einer Entwässerungskanalisation versehen worden. Der Kläger wandte u.a. ein, dass die Straße bereits vor der Wiedervereinigung endgültig hergestellt gewesen sei. Das Oberverwaltungsgericht verneinte dies und wies die Klage ab.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass bei beiden genannten Alternativen des § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB maßgeblich sei, ob die Straße oder deren Teile irgendwann vor dem 3. Oktober 1990 (nicht: genau an diesem Stichtag) endgültig hergestellt gewesen sei. Unter einem "technischen Ausbauprogramm" sei ein Plan zu verstehen, der Vorgaben zur bautechnischen Herstellung der Erschließungsanlage oder ihrer Teile enthalte. Dieser Plan müsse einer nach den jeweils geltenden Rechtsvorschriften zuständigen staatlichen Stelle zuzurechnen sein. Er müsse in irgendeiner Form schriftlich niedergelegt worden sein; seine Existenz könne aber auch durch Zeugen bewiesen werden. Unter "örtlichen Ausbaugepflogenheiten" sei das im zeitlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Ausbaumaßnahme festzustellende tatsächliche Verhalten der Gemeinde bei der bautechnischen Herstellung von Erschließungsanlagen zu verstehen. Die bloße Hinnahme von Provisorien reiche nicht aus. Abzustellen sei grundsätzlich auf den gesamten Ort, bei größeren Städten ggf. auf Ortsbezirke, wenn sie für den Straßenbau zuständig waren. Unterschiede in der Funktion der betreffenden Straßen (z.B. als Anlieger- oder Hauptverkehrsstraße) könnten von Bedeutung sein. Bei Nichterweislichkeit der Tatbestandsvoraussetzungen des § 242 Abs. 9 Sätze 1 und 2 BauGB liege die materielle Beweislast grundsätzlich bei der Gemeinde.
Im konkreten Fall hat das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen, zum einen wegen Verfahrensmängeln, zum anderen weil das Berufungsurteil nicht den vorstehenden Maßstäben entsprach.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.07.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 47/07 des BVerwG vom 11.07.2007