Dokument-Nr. 3900
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Bundesverwaltungsgericht Urteil07.03.2007
30-Jahres-Frist für nachträglichen Lärmschutz an planfestgestellten StraßenAuch nicht voraussehbarer Lärm muss gemindert weren
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass Anwohner einer nach 1974 planfestgestellten neuen Straße 30 Jahre lang einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen wegen ursprünglich nicht voraussehbarer Lärmwirkungen des Straßenbauvorhabens haben können.
Im Streitfall verlangten die Kläger die nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen an einer Bundesstraße. Dem Planfeststellungsbeschluss von 1976 für den Neubau dieser Straße lag eine Lärmprognose zugrunde, die auf die Verkehrsentwicklung bis 1990 abstellte. Die Kläger machten geltend, dass auch die weitere Verkehrsentwicklung und die daraus resultierende Lärmsteigerung zu berücksichtigen seien. Die Straßenbauverwaltung lehnte das Begehren ab, weil für die Frage nicht voraussehbarer Lärmwirkungen nur auf denselben Zeitraum abgestellt werden dürfe, der auch dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag. Die Vorinstanzen schlossen sich dieser Rechtsauffassung an.
Das Bundesverwaltungsgericht hat dies im Revisionsverfahren beanstandet. Der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen wegen "nicht voraussehbarer Wirkungen" bestehe grundsätzlich für die gesamte Dauer der in § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG vorgesehenen 30-Jahres-Frist; er werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Planfeststellungsbeschluss zulässigerweise ein kürzerer Prognosezeitraum zugrunde lag. Dass in der Praxis der straßenrechtlichen Planfeststellung regelmäßig mit kürzeren Prognosezeiträumen von ca. 10 bis 15 Jahren gearbeitet werde, beruhe darauf, dass sichere Vorhersagen über weitergehende zukünftige Entwicklungen kaum angestellt werden könnten. Dies führe aber nicht zu einer Verkürzung der vom Gesetz auf 30 Jahre bestimmten Frist zur Geltendmachung von Nachbesserungsansprüchen. Das Tatbestandsmerkmal "nicht voraussehbar" sei nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der "fehlgeschlagenen Prognose" und setze eine solche nicht voraus. Nicht voraussehbar sei eine erhebliche Steigerung der Belästigung durch Verkehrslärm gegenüber dem methodisch korrekt prognostizierten Zustand vielmehr auch dann, wenn sie erst nach Ablauf des Prognosezeitraums eintrete. Erheblich in diesem Sinne sei eine Lärmsteigerung grundsätzlich erst, wenn der nach der Prognose zu erwartende Beurteilungspegel um mindestens 3 dB(A) überschritten wird. Eine Lärmzunahme von weniger als 3 dB(A) könne nur ausnahmsweise dann erheblich sein, wenn der Beurteilungspegel die sog. enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle übersteige, die in Wohngebieten bei Beurteilungspegeln von 70 dB(A) tags / 60 dB(A) nachts beginne. Der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen hänge allerdings von weiteren Voraussetzungen ab. Dazu gehöre zunächst, dass er nur innerhalb von drei Jahren geltend gemacht werden könne, nachdem der Betroffene Kenntnis von den nachteiligen Wirkungen erhalten habe. Ferner sei erforderlich, dass die Betroffenen bei Vorhersehbarkeit dieser Wirkungen nach der Rechtslage, die dem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag, einen Anspruch auf Schutzmaßnahmen gehabt hätten, der über die ihnen gewährten Schutzvorkehrungen hinausging. Denn nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift seien die Betroffenen so zu stellen, als ob die nachträglich aufgetretenen (Lärm-)Wirkungen des Vorhabens bereits seinerzeit vorhergesehen und im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt worden wären. Über die Dimensionierung danach anzuordnender nachträglicher Lärmschutzmaßnahmen sei dagegen nach derzeitiger Rechtslage zu entscheiden. Der Anspruch könne schließlich unter den weiteren Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 Sätze 4 und 5 VwVfG ausgeschlossen sein, etwa weil Schutzvorkehrungen untunlich oder mit dem Straßenbauvorhaben unvereinbar wären.
Ob die Kläger im Ergebnis einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen haben, hängt danach von weiteren Fragen ab, zu denen das Oberverwaltungsgericht bislang keine Tatsachenfeststellungen getroffen hat. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht den Streitfall an die Vorinstanz zurückverwiesen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.03.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 12/07 des BVerwG vom 07.03.2007
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