15.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil07.03.2007

30-Jahres-Frist für nachträglichen Lärmschutz an planfest­ge­stellten StraßenAuch nicht voraussehbarer Lärm muss gemindert weren

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig hat entschieden, dass Anwohner einer nach 1974 planfest­ge­stellten neuen Straße 30 Jahre lang einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutz­maß­nahmen wegen ursprünglich nicht voraussehbarer Lärmwirkungen des Straßen­bau­vor­habens haben können.

Im Streitfall verlangten die Kläger die nachträgliche Anordnung von Lärmschutz­maß­nahmen an einer Bundesstraße. Dem Planfest­stel­lungs­be­schluss von 1976 für den Neubau dieser Straße lag eine Lärmprognose zugrunde, die auf die Verkehr­s­ent­wicklung bis 1990 abstellte. Die Kläger machten geltend, dass auch die weitere Verkehr­s­ent­wicklung und die daraus resultierende Lärmsteigerung zu berücksichtigen seien. Die Straßen­bau­ver­waltung lehnte das Begehren ab, weil für die Frage nicht voraussehbarer Lärmwirkungen nur auf denselben Zeitraum abgestellt werden dürfe, der auch dem Planfest­stel­lungs­be­schluss zugrunde lag. Die Vorinstanzen schlossen sich dieser Rechts­auf­fassung an.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat dies im Revisi­ons­ver­fahren beanstandet. Der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutz­maß­nahmen wegen "nicht voraussehbarer Wirkungen" bestehe grundsätzlich für die gesamte Dauer der in § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG vorgesehenen 30-Jahres-Frist; er werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Planfest­stel­lungs­be­schluss zulässigerweise ein kürzerer Progno­se­zeitraum zugrunde lag. Dass in der Praxis der straßen­recht­lichen Planfest­stellung regelmäßig mit kürzeren Progno­se­zeit­räumen von ca. 10 bis 15 Jahren gearbeitet werde, beruhe darauf, dass sichere Vorhersagen über weitergehende zukünftige Entwicklungen kaum angestellt werden könnten. Dies führe aber nicht zu einer Verkürzung der vom Gesetz auf 30 Jahre bestimmten Frist zur Geltendmachung von Nachbes­se­rungs­ansprüchen. Das Tatbe­stands­merkmal "nicht voraussehbar" sei nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der "fehlge­schlagenen Prognose" und setze eine solche nicht voraus. Nicht voraussehbar sei eine erhebliche Steigerung der Belästigung durch Verkehrslärm gegenüber dem methodisch korrekt prognos­ti­zierten Zustand vielmehr auch dann, wenn sie erst nach Ablauf des Progno­se­zeitraums eintrete. Erheblich in diesem Sinne sei eine Lärmsteigerung grundsätzlich erst, wenn der nach der Prognose zu erwartende Beurtei­lungspegel um mindestens 3 dB(A) überschritten wird. Eine Lärmzunahme von weniger als 3 dB(A) könne nur ausnahmsweise dann erheblich sein, wenn der Beurtei­lungspegel die sog. enteig­nungs­rechtliche Zumut­ba­r­keits­schwelle übersteige, die in Wohngebieten bei Beurtei­lungs­pegeln von 70 dB(A) tags / 60 dB(A) nachts beginne. Der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutz­maß­nahmen hänge allerdings von weiteren Voraussetzungen ab. Dazu gehöre zunächst, dass er nur innerhalb von drei Jahren geltend gemacht werden könne, nachdem der Betroffene Kenntnis von den nachteiligen Wirkungen erhalten habe. Ferner sei erforderlich, dass die Betroffenen bei Vorher­seh­barkeit dieser Wirkungen nach der Rechtslage, die dem bestands­kräftigen Planfest­stel­lungs­be­schluss zugrunde lag, einen Anspruch auf Schutzmaßnahmen gehabt hätten, der über die ihnen gewährten Schutz­vor­keh­rungen hinausging. Denn nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift seien die Betroffenen so zu stellen, als ob die nachträglich aufgetretenen (Lärm-)Wirkungen des Vorhabens bereits seinerzeit vorhergesehen und im Planfest­stel­lungs­be­schluss berücksichtigt worden wären. Über die Dimensionierung danach anzuordnender nachträglicher Lärmschutz­maß­nahmen sei dagegen nach derzeitiger Rechtslage zu entscheiden. Der Anspruch könne schließlich unter den weiteren Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 Sätze 4 und 5 VwVfG ausgeschlossen sein, etwa weil Schutz­vor­keh­rungen untunlich oder mit dem Straßen­bau­vorhaben unvereinbar wären.

Ob die Kläger im Ergebnis einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutz­maß­nahmen haben, hängt danach von weiteren Fragen ab, zu denen das Oberver­wal­tungs­gericht bislang keine Tatsa­chen­fest­stel­lungen getroffen hat. Deshalb hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht den Streitfall an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 12/07 des BVerwG vom 07.03.2007

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