24.11.2024
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Dokument-Nr. 120

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Urteil19.01.2005BundesverwaltungsgerichtBVerwG 6 C 9.04
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Bundesverwaltungsgericht Urteil19.01.2005

Wehrpflicht verfas­sungsgemäß

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig hat das Urteil eines Verwal­tungs­ge­richts aufgehoben, das die Einberufung eines Wehrpflichtigen wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Wehrge­rech­tigkeit als willkürlich angesehen hatte.

Nach der Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts kann die im Verfahren umstrittene Einberufung des Klägers zur Ableistung des Grund­wehr­dienstes ab Januar 2004 nicht aus den vom Verwal­tungs­gericht angeführten Gründen als rechtswidrig angesehen werden. Namentlich hat die Beklagte den im Grundsatz zur Wehrdienst­leistung verpflichteten Kläger nicht willkürlich zum Wehrdienst einberufen. Zwar war die Einbe­ru­fung­s­praxis der Wehrer­satz­be­hörden zum Zeitpunkt der Heranziehung des Klägers objektiv rechtswidrig, weil eine große Anzahl Wehrpflichtiger ohne gesetzliche Grundlage nur aufgrund von Verwal­tungs­a­n­ord­nungen - sog. administrativen Wehrdien­staus­nahmen - nicht zum Wehrdienst herangezogen wurde. Sie war jedoch nicht willkürlich, sondern beruhte auf einer Fortentwicklung und Ausdehnung der im Wehrpflicht­gesetz geregelten gesetzlichen Wehrdien­staus­nahmen und ist demgemäß vom Gesetzgeber durch Gesetz vom 27. September 2004 im Wesentlichen unverändert in das Wehrpflicht­gesetz übernommen worden. Allein die mangelnde gesetzliche Verankerung der Wehrdien­staus­nahmen begründet den Vorwurf der Willkür nicht. Auch sonst ist für eine Willkü­rent­scheidung zu Lasten des Klägers nichts ersichtlich.

Die den Kläger treffende Wehrpflicht verstieß zu dem genannten Zeitpunkt nicht deswegen gegen die Verfassung, weil die Wehrge­rech­tigkeit nicht gewahrt war. Der Grundsatz der Wehrge­rech­tigkeit ist eine Ausprägung des Gleich­be­hand­lungs­grund­satzes in Art. 3 des Grundgesetzes und auf eine umfassende und gleichmäßige Verwirklichung der in Art. 12 a des Grundgesetzes vorgesehenen Wehrpflicht gerichtet. Die Wehrge­rech­tigkeit verlangt zwar nicht, dass stets mindestens ein bestimmter Prozentsatz aller Angehörigen der zur Heranziehung anstehenden männlichen Geburts­jahrgänge tatsächlich zum Wehrdienst herangezogen wird, wohl aber eine weitgehende Ausschöpfung der Zahl der aufgrund der Regelungen des Wehrpflicht­ge­setzes einberufbaren Wehrpflichtigen nach Geburts­jahr­gängen. Vermindert sich der Bedarf der Bundeswehr an Wehrpflichtigen, kann dies dazu führen, dass sich zwischen der Zahl der für die Bundeswehr verfügbaren und der tatsächlich einberufenen Wehrpflichtigen eine Lücke auftut, die mit dem Grundsatz der Wehrge­rech­tigkeit nicht mehr vereinbar ist. Unter solchen Voraussetzungen muss der Gesetzgeber reagieren, um durch eine Neuregelung der Verfüg­ba­r­keits­kri­terien oder auf andere Weise für verfas­sungs­gemäße Zustände zu sorgen. Infolge der Reform der Bundeswehr und ihrer veränderten Aufga­ben­stellung ist in den Jahren seit 2000 die Zahl der für Wehrpflichtige bereit­ge­stellten Plätze erheblich verringert worden. Dieser Entwicklung hat der Gesetzgeber mit dem Erlass des bereits erwähnten Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zivil­dienst­ge­setzes und anderer Vorschriften vom 27. September 2004 (BGBl I S. 2358) Rechnung getragen, das am 1. Oktober 2004 in Kraft getreten ist. Durch dieses Gesetz ist in Anlehnung an die bis dahin geltenden Verwal­tungs­a­n­ord­nungen des Bundes­mi­nis­teriums der Verteidigung die regelmäßige Höchst­al­ters­grenze für die Heranziehung zum Wehrdienst abgesenkt, der Inhalt der gesetzlichen Wehrdien­staus­nahmen erheblich erweitert und der Verwendungsgrad "T 3" abgeschafft worden. Mit diesen Maßnahmen des Gesetzgebers, die im Vergleich zu der früheren Rechtslage eine erhebliche Abnahme der Zahl der verfügbaren Wehrpflichtigen bewirken und in der Einbe­ru­fung­s­praxis der Bundeswehr schon seit dem 1. Juli 2003 vorweggenommen worden sind, sind mögliche Einwände gegen die geltende Wehrpflicht unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die Wehrge­rech­tigkeit infolge mangelhafter Ausschöpfung der Zahl der verfügbaren Wehrpflichtigen entfallen. Von einer unangemessen langen Untätigkeit des Gesetzgebers kann unter den gegebenen Umständen nicht die Rede sein.

Der Senat war gehindert, in der Sache abschließend zu entscheiden, weil der Kläger seiner Einberufung auch einen Anspruch auf Zurückstellung vom Wehrdienst wegen unzumutbarer Unterbrechung seiner Ausbildung entge­gen­ge­halten hat. Da die tatsächlichen Voraussetzungen seines Zurück­stel­lungs­be­gehrens bislang nicht geklärt sind, hat der Senat das Urteil des Verwal­tungs­ge­richts aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Verwal­tungs­gericht zurückverwiesen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 1/2005 des BVerwG vom 19.01.2005

der Leitsatz

Vermindert sich der Bedarf der Bundeswehr an Wehrpflichtigen, kann dies dazu führen, dass sich zwischen der Zahl der für die Bundeswehr verfügbaren und der Zahl der tatsächlich einberufenen Wehrpflichtigen eine Lücke auftut, die mit dem Grundsatz der Wehrge­rech­tigkeit nicht mehr vereinbar ist. Unter solchen Voraussetzungen muss der Gesetzgeber reagieren, um durch eine Neuregelung der Verfüg­ba­r­keits­kri­terien oder auf andere Weise für verfas­sungs­gemäße Zustände zu sorgen.

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