14.11.2024
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Dokument-Nr. 7298

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Urteil19.01.2009BundesverwaltungsgerichtBVerwG 10 C 52.07
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Bundesverwaltungsgericht Urteil19.01.2009

Keine Flücht­lings­a­n­er­kennung für Tschetschenin wegen fehlender medizinischer Behandlung

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig hat eine Entscheidung des Bayerischen Verwal­tungs­ge­richtshofs aufgehoben, mit der eine aus Tschetschenien stammende russische Staats­an­ge­hörige mit Blick auf das Fehlen einer dringend erforderlichen medizinischen Behandlung bei einer Rückkehr nach Russland als Flüchtling anerkannt wurde.

Die Klägerin reiste im September 1999 aus Tschetschenien aus und kam über Moskau im Januar 2000 nach Deutschland. Ihren Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ab. Mit ihrer Klage auf Flücht­lings­a­n­er­kennung hatte die Klägerin in erster Instanz Erfolg. Während des Berufungs­ver­fahrens stellte sich heraus, dass sie an einer behand­lungs­be­dürftigen posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung (PTBS) leidet. Das Bundesamt gewährte ihr daraufhin auslän­der­recht­lichen Abschie­bungs­schutz nach § 60 Abs. 7 Aufent­halts­gesetz. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hat die Flücht­lings­a­n­er­kennung der Vorinstanz bestätigt. Die Klägerin sei in Russland - mit Ausnahme Tschetscheniens - angesichts ihrer Erkrankung mit beachtlicher Wahrschein­lichkeit von Verfolgung bedroht. Wegen ihrer tschet­sche­nischen Volks­zu­ge­hö­rigkeit werde ihr dort zumindest temporär die Registrierung und damit auch der Zugang zur staatlichen Gesund­heits­fürsorge verweigert werden. Dies überschreite wegen der besonderen Situation der Klägerin ausnahmsweise die Schwelle zur Asylrelevanz, weil es angesichts der dringend behand­lungs­be­dürftigen schweren PTBS zu einer Gefährdung von Leib und Leben kommen würde. Auf eine inländische Fluchtal­ter­native in Tschetschenien könne die Klägerin nicht verwiesen werden, da sie dort zwar registriert werde, die notwendige medizinische Behandlung aber wegen der allgemein mangelhaften Gesund­heits­ver­sorgung nicht gewährleistet sei.

Der Bundes­be­auf­tragte für Asylan­ge­le­gen­heiten hatte mit seiner Revision Erfolg. Nach Auffassung des 10. Senats des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts fehlt es bereits an einer auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit der Klägerin gerichteten Verfol­gungs­handlung, d.h. an einem gezielten Eingriff in ein asylrechtlich geschütztes Rechtsgut (vgl. Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union - Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie). Bei der vom Berufungs­gericht festgestellten zumindest vorläufigen Verweigerung der Registrierung durch lokale Behörden der Russischen Föderation in Anknüpfung an die Volks­zu­ge­hö­rigkeit handelt es sich um ein Unterlassen. Dies mag einen Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit darstellen, zielt seinem Charakter nach aber nicht auf die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eines asylrechtlich geschützten Rechtsguts. Der Senat konnte offen lassen, ob eine Flücht­lings­a­n­er­kennung aus dem vom Verwal­tungs­ge­richtshof angenommenen Grund auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil die aus Tschetschenien stammende Klägerin von einer Verfolgung in anderen Gebieten der Russischen Föderation, zu denen sie bisher keinerlei Beziehung hatte, möglicherweise gar nicht selbst betroffen wäre.

Ob die Klägerin nicht aus anderen Gründen als Flüchtling anzuerkennen ist, konnte der Senat nicht abschließend beurteilen. Denn der Verwal­tungs­ge­richtshof ist davon ausgegangen, dass die Klägerin unverfolgt ausgereist ist, weil sie im Zeitpunkt der Ausreise in Inguschetien eine inländische Fluchtal­ter­native gehabt hätte. Dies widerspricht Art. 4 Abs. 4 der Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie, auf den auch der nationale Gesetzgeber in § 60 Abs. 1 Satz 5 Aufent­halts­gesetz Bezug nimmt. Danach setzt die Annahme einer Vorverfolgung lediglich eine erlittene oder unmittelbar drohende Verfolgung voraus, nicht aber das Fehlen einer inländischen Fluchtal­ter­native. Da der Verwal­tungs­ge­richtshof dies nicht berücksichtigt hat, wurde der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an ihn zurückverwiesen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 01/09 des BVerwG vom 20.01.2009

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