Dokument-Nr. 4756
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Bundesverwaltungsgericht Urteil09.08.2007
Ausländer darf aufgrund von Verfahrensfehlern in Deutschland bleibenVerstoß gegen die Verfahrensgarantie in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat eine vom Regierungspräsidium Karlsruhe verfügte Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers für rechtswidrig erklärt. Geklagt hatte ein 1975 in Karlsruhe als Kind türkischer Arbeitnehmer geborener türkischer Staatsangehöriger, der sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei (hier: nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats - ARB 1/80) berufen hat.
Er war im Februar 2004 in Karlsruhe wegen schweren gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und deshalb im September 2004 vom Regierungspräsidium ausgewiesen worden. Seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug im Juli 2007 lebt der Kläger wieder bei seiner Familie in Karlsruhe.
Das Verwaltungsgericht hatte die Ausweisung wegen Verstoßes gegen die Verfahrensgarantie in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG aufgehoben, wonach - außer in dringenden Fällen - eine zweite unabhängige Stelle vor Ausspruch der Ausweisung zu beteiligen ist. Nachdem das behördliche Widerspruchsverfahren bei der Ausweisung von Straftätern in Baden-Württemberg abgeschafft worden sei, genüge die allein vom Regierungspräsidium geprüfte und verfügte Ausweisung diesen Anforderungen nicht. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die Ausweisung dagegen als rechtmäßig bestätigt. Er war der Auffassung, dass der Kläger sich auf die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien schon deshalb nicht berufen könne, weil er sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht als Kind eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 durch Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Gebrauchtwagenhandel im Jahre 1999 verloren habe.
Mit seinem im schriftlichen Verfahren ergangenen Urteil hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Berufungsurteil geändert und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt. Er hat entschieden, dass das nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg (EuGH) aus Art. 7 ARB 1/80 abzuleitende Aufenthaltsrecht des Klägers nicht durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit erloschen ist, und insoweit auf die inzwischen dazu ergangene weitere Rechtsprechung des EuGH verwiesen. Danach erlöschen die Aufenthaltsrechte assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Familienangehöriger nur, wenn sie die Ausweisungsvoraussetzungen nach Art. 14 ARB 1/80 erfüllen oder Deutschland für einen nicht unbeträchtlichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen haben. Das Bundesverwaltungsgericht hat ferner ausgeführt, dass der vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellte Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensgarantie nach Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht dadurch nachträglich geheilt worden ist, dass diese Vorschrift mit Wirkung vom 30. April 2006 durch die Unionsbürger-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft (2004/38/EG) aufgehoben worden ist. Die Ersetzung der alten durch neue, inhaltlich abweichende Verfahrensgarantien vermag die Fehlerhaftigkeit der unter der Geltung des alten Rechts verfügten Ausweisung nicht zu heilen. Maßgeblich ist hier das zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens geltende Verfahrensrecht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.08.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 55/07 des BVerwG vom 28.08.2007
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