Dokument-Nr. 1588
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Bundesverwaltungsgericht Urteil03.08.2004
Strengere Anforderungen an die Ausweisung von EU-Bürgern
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass freizügigkeitsberechtigte Bürger aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur dann aus Deutschland ausgewiesen werden dürfen, wenn die Ausländerbehörde eine individuelle Ermessensentscheidung getroffen hat. Zwingende Ausweisungen und Regelausweisungen, wie sie § 47 des Ausländergesetzes bei schweren Straftaten vorsieht, dürfen gegen EU-Bürger nicht mehr verfügt werden. Außerdem müssen die Ausländerbehörden und die Gerichte künftig neue Tatsachen, die nach der Ausweisungsverfügung entstanden sind, berücksichtigen.
Der für das Ausländerrecht zuständige 1. Revisionssenat zog damit die Konsequenzen aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH) vom 29. April 2004 (Rechtssachen Orfanopoulos und Oliveri).
In den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es um die Ausweisung eines 33-jährigen portugiesischen Staatsangehörigen, der bereits im Alter von 5 Jahren nach Deutschland gekommen war. Er wurde im Oktober 1998 aus Deutschland ausgewiesen, weil er u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden war. Sein Widerspruch und seine Klage blieben erfolglos. Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat hingegen die Ausweisungsverfügung aufgehoben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache jetzt zur erneuten Verhandlung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof und die Ausländerbehörde erhalten damit Gelegenheit, sich auf die geänderte Rechtsprechung einzustellen. Bei der erneuten Verhandlung muss der Verwaltungsgerichtshof auch die Persönlichkeitsentwicklung des Klägers seit der Widerspruchsentscheidung in den Blick nehmen. Er muss eine aktuelle Gefahrenprognose anstellen und beurteilen, ob vom Kläger auch jetzt noch Wiederholungstaten zu erwarten sind. Dabei muss der Verwaltungsgerichtshof neben der zwischenzeitlichen Verbüßung der Freiheitsstrafe zu zwei Dritteln und dem Erlass der Reststrafe nach Ablauf der Bewährungszeit auch berücksichtigen, dass der Kläger 1999 geheiratet hat und Vater eines Kindes ist. Stellt das Gericht fest, dass vom Kläger auch derzeit die Gefahr schwer wiegender Rechtsverstöße ausgeht, die zur Ausweisung berechtigt, muss es der Ausländerbehörde Gelegenheit zu aktuellen Ermessenserwägungen geben. Das gilt, wie das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, auch in allen anderen bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Ausweisungsverfahren von EU-Bürgern, wenn die Ausweisung nach der überholten Rechtsprechung ohne Ermessensausübung verfügt worden ist oder wenn sich während des gerichtlichen Verfahrens die Sachlage wesentlich geändert hat.
Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass die Ausweisung von EU-Bürgern nach der ab 1. Januar 2005 geltenden neuen Rechtslage nach dem Zuwanderungsgesetz generell zu befristen ist. Der angefochtene Bescheid aus dem Jahr 1998 enthielt eine solche Befristung noch nicht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.08.2004
Quelle: Pressemitteilung Nr. 47/04 des BVerwG vom 03.08.2004
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