18.10.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 1171

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Bundesverwaltungsgericht Urteil01.11.2005

Zum Widerruf einer Asylanerkennung - Allgemeine Gefahren irrelevantAllgemeine Gefahren im Herkunftsland für Widerruf der Asylanerkennung nach Regimewechsel irrelevant

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen nach einem Regimewechsel (hier: in Afghanistan) die Anerkennung als Asylbe­rech­tigter zu widerrufen ist.

Der Kläger, ein aus Kabul stammender afghanischer Staats­an­ge­höriger, reiste 1989 nach Deutschland ein. 1991 erkannte ihn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) als Asylbe­rech­tigten und als politischen Flüchtling an, weil er von dem früheren kommunistischen Regime in Afghanistan politisch verfolgt worden war.

1996 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäu­bungs­mitteln zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Im Juni 2000 widerrief das Bundesamt die Asylanerkennung des Klägers. Zur Begründung führte es aus, das Gesetz sehe einen derartigen Widerruf vor, wenn die Anner­ken­nungs­vor­aus­set­zungen nicht mehr vorlägen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Asylver­fah­rens­gesetz). Dies sei hier der Fall, weil in Afghanistan keine der Verfolgung fähige staatliche oder staatsähnliche Gewalt mehr vorhanden sei. Die hiergegen gerichtete Klage blieb in der ersten und zweiten Instanz erfolglos. Das Oberver­wal­tungs­gericht Schleswig hat angenommen, dass die Zumutbarkeit der Rückkehr in das Herkunftsland grundsätzlich das Bestehen eines schutzfähigen Staates voraussetzt, der indessen in Afghanistan nicht existiere. Der Widerruf sei gleichwohl zu Recht erfolgt, weil es hier an der Kausalität zwischen der zur Asylanerkennung führenden Verfolgung und den für eine Rückkehr bedeutsamen Umständen fehle.

Auf die Revision des Klägers hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Tatsa­chen­fest­stellung an das Oberver­wal­tungs­gericht zurückverwiesen. Es hat entschieden, dass die Asyl- und Flücht­lings­a­n­er­kennung insbesondere zu widerrufen ist, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfol­gungs­maß­nahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Dann kann die betroffene Person, wie von der Genfer Flücht­lings­kon­vention (GFK) vorgesehen, „nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen …, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staats­an­ge­hö­rigkeit sie besitzt“ (Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK).

Diese Klausel, die bei der Auslegung der Wider­rufs­be­stim­mungen zu berücksichtigen ist, bezieht sich nach dem heutigen Urteil ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung. Gegen den Widerruf kann der Ausländer dagegen nicht einwenden, dass ihm im Heimatstaat nunmehr sonstige, namentlich allgemeine Gefahren (z. B. auf Grund einer schlechten Versorgungslage) drohen. Ob ihm deswegen eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flücht­lings­a­n­er­kennung nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts (Aufent­halts­gesetz) gewährt werden.

Das Oberver­wal­tungs­gericht wird die auf zu schmaler Tatsa­chen­grundlage erfolgte Prüfung einer Verfolgung des Klägers bei Rückkehr nach Afghanistan unter Beachtung der dargestellten Maßstäbe erneut vorzunehmen haben. Im Rahmen der Entscheidung über den Widerruf der Flücht­lings­ei­gen­schaft wird das Oberver­wal­tungs­gericht zusätzlich prüfen müssen, ob dem Kläger eine Verfolgung von nicht­staat­licher Seite droht, wie sie nach dem seit dem 1. Januar 2005 geltenden neuen Aufent­halts­gesetz zu berücksichtigen ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 Aufent­halts­gesetz).

Unabhängig hiervon wäre der angefochtene Wider­rufs­be­scheid rechtmäßig, wenn der Kläger im Hinblick auf die von ihm begangenen Straftaten und eine von ihm ausgehende Wieder­ho­lungs­gefahr aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet (vgl. § 60 Abs. 8 Aufent­halts­gesetz). Auch dann würden nämlich die Voraussetzungen der Asyl- und Flücht­lings­a­n­er­kennung nicht mehr vorliegen (vgl. künftig Art. 14 Abs. 4 der noch nicht umgesetzten EG-Richtlinie 2004/83). Sollte es hierauf ankommen, so wird das Oberver­wal­tungs­gericht insoweit weitere Feststellungen zu treffen haben. Die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, auf die das Oberver­wal­tungs­gericht verweist, rechtfertigt allein noch nicht die Verneinung einer Wieder­ho­lungs­gefahr.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 55/05 des BVerwG vom 01.11.2005

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