14.11.2024
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Dokument-Nr. 20822

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Bundesverwaltungsgericht Urteil25.03.2015

Fortbestehende Gefährlichkeit eines Unionsbürgers rechtfertigt langfristiges EinreiseverbotBei anhaltender schwerwiegender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darf Einreiseverbot Dauer von zehn Jahren ab Ausreise überschreiten

Ein Einreiseverbot für Unionsbürger darf bei fortbestehender schwerwiegender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch die Dauer von zehn Jahren ab Ausreise überschreiten. Maßgeblich für die Fristbestimmung sind die Gefah­ren­prognose und die schützenswerten Interessen des Unionsbürgers zum Zeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung. Das entschied das Bundes­verwaltungs­gericht.

Der Entscheidung lag der Fall eines 46-jährigen polnischen Staats­an­ge­hörigen zugrunde, der von 1984 bis 2000 in Deutschland lebte. Seit seinem 8. Lebensjahr leidet er an einer paranoid-hallu­zi­na­to­rischen Psychose, er war mehrmals stationär in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht. 1999 wurde er vom Landgericht Stuttgart wegen versuchten Mordes zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Der Kläger hatte versucht, seinen Vater durch einen Messerstich in den Kopf zu töten. Der Vater ist seit dieser Zeit schwerst pflegebedürftig. Im Jahr 2000 wurde der Kläger ausgewiesen und nach Polen abgeschoben. Seine Mutter und Schwester leben weiterhin in Deutschland. In Polen war der Kläger nach erneuter Straffälligkeit von 2005 bis 2013 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Das zuständige polnische Amtsgericht hat die Siche­rungs­maßregel gegen den Kläger im Jahr 2013 aufgehoben, weil es die gutachterlich attestierten, vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahren nicht für ausreichend hoch hielt, um ihn weiter in der geschlossenen Psychiatrie unterzubringen.

Land verfügt Befristung für weitere zehn Jahre

Der Kläger beantragte daraufhin die Befristung der Wirkungen seines von der Ausweisung ausgehenden Einreise- und Aufent­halts­verbots auf Null. Das beklagte Land hat hingegen im Mai 2014 eine Befristung für weitere zehn Jahre verfügt, da von dem Kläger weiterhin eine erhebliche Gefahr ausgehe. Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart hat im Juli 2014 das beklagte Land zur Befristung per sofort verpflichtet; es hat die Sprungrevision gegen sein Urteil zum Bundes­ver­wal­tungs­gericht zugelassen.

Fristbestimmung ist keine Entscheidung nach Ermessen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat das Urteil des Verwal­tungs­ge­richts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Auch nach der Neufassung des § 7 Abs. 2 Freizü­gig­keits­gesetz/EU im Dezember 2014 besteht für die Befristung eines Einreiseverbots für Unionsbürger, bei denen der Verlust des Aufent­halts­rechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt worden ist (§ 6 Abs. 1 FreizügG/EU), keine Höchstgrenze. Maßgeblich für die Befris­tungs­ent­scheidung ist zunächst die Prognose über die Fortdauer der vom Unionsbürger ausgehenden Gefahr. Die sich daraus ergebende Frist ist - soweit geboten - unter Zugrundelegung der schützenswerten Interessen des Betroffenen zu verkürzen und muss insgesamt verhältnismäßig sein. Bei der Fristbestimmung handelt es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung, nicht um eine Entscheidung nach Ermessen.

Mögliche Gefährdung für öffentliche Sicherheit entscheidend für Befristung

Die vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht als Höchstdauer für eine tragfähige Prognose der individuellen Gefährlichkeit benannte Frist von zehn Jahren begrenzt dabei nicht die mögliche Gesamtdauer eines Einreiseverbots. Diese Frist bezeichnet lediglich einen in die Zukunft wirkenden Progno­se­zeitraum, weil sich eine längere Zeitspanne typischerweise nicht überblicken lässt. Für die Befristung selbst kommt es zunächst darauf an, ob weiterhin eine hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Sicherheit besteht. Die Gesamtdauer des Einreiseverbots, das im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts schon seit 14 Jahren bestand, ist im Rahmen der Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung zu berücksichtigen. Da das Verwal­tungs­gericht keine Feststellungen zur Dauer der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefährdung und zu seinen persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Deutschland getroffen hat, war die Sache zur weiteren Aufklärung und Entscheidung zurück­zu­ver­weisen.

Die Zurück­ver­weisung erfolgte hier an den Verwal­tungs­ge­richtshof in Mannheim, weil die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts maßgeblich auf dessen Rechtsprechung beruht (§ 144 Abs. 5 VwGO).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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