18.10.2024
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Dokument-Nr. 31787

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Bundesverwaltungsgericht Urteil04.05.2022

Anspruch auf Ergänzung der Nachver­si­cherung in der Renten­ver­si­cherung beim Wechsel eines Beamten in das EU-AuslandAusgleichs­an­spruch auf Grundlage des Unionrechts zuzuerkennen

Macht ein Beamter von der Arbeitnehmer­freizügigkeit nach Art. 45 AEUV Gebrauch, indem er aus dem in Deutschland begründeten Beamten­ver­hältnis ausscheidet, um in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einer Erwer­b­s­tä­tigkeit nachzugehen, so hat er einen Anspruch auf einen Ausgleichs­betrag, der die Rente in der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung ergänzt, die ihm infolge der mit der Entlassung aus dem Beamten­ver­hältnis verbundenen Nachver­si­cherung zusteht. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger, ein deutscher Staats­an­ge­höriger, war ab 1978 als beamteter Lehrer in Nordrhein- Westfalen tätig; in diesem Dienst­ver­hältnis wäre er Anfang Februar 2016 in den Ruhestand getreten. Er beantragte jedoch im Jahr 1999 seine Entlassung aus dem Beamten­ver­hältnis, um in Österreich als Lehrer zu arbeiten. Daraufhin wurde der Kläger in der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung nachversichert. Im Gegensatz zum Bund und anderen Ländern hat das Land Nordrhein-Westfalen keine gesetzliche Regelung geschaffen, nach der den Beamten im Falle ihres Ausscheidens aus dem Dienst­ver­hältnis die bis dahin erworbenen Versor­gungs­an­wart­schaften im Grundsatz erhalten bleiben.

Lehrer beantragte „Altersgeld“

Im Jahr 2013 beantragte der Kläger beim beklagten Land die Bewilligung von „Altersgeld“ mit der Begründung, die bloße Nachversicherung in der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung bleibe weit hinter dem Wert der von ihm bis zur Entlassung "erworbenen" beamten­recht­lichen Versor­gungs­ansprüche zurück. Das Verwal­tungs­gericht Düsseldorf hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt (EuGH, Urteil vom 13. Juli 2016, C-187/15).

Grundsatzes der strikten Gesetzesbindung?

Im Anschluss hieran hat es das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Februar 2016 einen Ausgleichs­betrag für den Verlust der Alters­ver­sorgung aufgrund seiner Entlassung aus dem Beamten­ver­hältnis zuzuerkennen. Auf die Berufung des Landes hat das Oberver­wal­tungs­gericht das erstin­sta­nzliche Urteil geändert und das Land verpflichtet, an den Kläger ab dem 1. August 2016 eine Entschädigung in Höhe der Differenz zwischen der Altersrente einschließlich Kranken­ver­si­che­rungs­zulage, die er von der Deutschen Renten­ver­si­cherung erhält, und einer fiktiven Altersrente einschließlich Kranken­ver­si­che­rungs­zulage zuzüglich einer VBL-Zusatzrente zu zahlen, die der Kläger erhalten hätte, wenn er zwischen dem 1. August 1980 und dem 31. August 1999 als angestellter Lehrer im Schuldienst des Landes tätig gewesen wäre. Der Kläger könne wegen des im Versor­gungsrecht geltenden Grundsatzes der strikten Gesetzesbindung lediglich einen unions­recht­lichen Staats­haf­tungs­an­spruch geltend machen.

Ausgleichs­an­spruch unmittelbar auf Grundlage des Unionrechts

Auf die Revision des Klägers hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht das Urteil des Oberver­wal­tungs­ge­richts aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Februar 2016 einen Ausgleich für die mit seiner Entlassung aus dem Beamten­ver­hältnis verbundenen Einbußen in der Alters­ver­sorgung zu zahlen: Der Wert der Nachver­si­cherung des Klägers bleibt bezogen auf die im Beamten­ver­hältnis verbrachte Zeit von ca. 20 Jahren deutlich hinter dem Wert der "erworbenen" Versor­gungs­ansprüche zurück. Die damit einhergehende Beein­träch­tigung des Rechts der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV ist nicht durch öffentliche Interessen gerechtfertigt, sodass dem Kläger ein Ausgleich­an­spruch zusteht. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts gebietet es, innerstaatliche Vorschriften, wie hier den Grundsatz des Geset­zes­vor­behalts im Versor­gungsrecht, unangewendet zu lassen und einen Ausgleichsanspruch unmittelbar auf der Grundlage des Unionrechts zuzuerkennen. Die Vorgaben des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts zur Bestimmung des Ausgleichs­an­spruchs weichen dabei erheblich von denen des Verwal­tungs­ge­richts ab.

Bestimmung des Ausgleichs­an­spruchs

Entsprechend der Vorgabe des EuGH zum „gültigem Bezugssystem“, an dem sich die Rechtsstellung des aus dem Dienst­ver­hältnis ausgeschiedenen Beamten zu orientieren hat, ist in einem ersten Schritt nach der zeitra­tier­lichen Methode der Wert des Anteils an der fiktiven Gesamt­ver­sorgung des Klägers zum 1. Februar 2016 zu ermitteln, den der Kläger im Beamten­ver­hältnis zum beklagten Land verbracht hat. Maßgeblich ist der Versor­gungs­an­spruch, der dem Kläger beim Verbleib im Dienst des Landes bis zum regulären Eintritt in den Ruhestand nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen zugestanden hätte; auszugehen ist dabei von den zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beamten­ver­hältnis geltenden Umständen, etwa Statusamt und Stufe der Besoldung. Die im Beamten­ver­hältnis verbrachte Zeit ist in Bezug zu setzen zu dieser fiktiven Gesamt­ver­sorgung. Von diesem so berechneten Wert ist in einem zweiten Schritt der Anteil an der gesetzlichen Altersrente abzuziehen, der auf die Nachver­si­cherung im Anschluss an die Entlassung aus dem Beamten­ver­hältnis entfällt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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