21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 30705

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Urteil17.08.2021Bundesverwaltungsgericht1 C 1.21, 1 C 26.20, 1 C 38.20, 1 C 51.20 und 1 C 55.20
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Bundesverwaltungsgericht Urteil17.08.2021

Keine Verlängerung der Dublin-Überstel­lungsfrist wegen bloßer Nichtbefolgung einer Selbst­gestellungs­aufforderungVerletzung der Mitwir­kungs­pflicht kein Grund zur Annahme eines "Flüchtigseins" bei Kenntnis des Aufenthaltsorts

Befolgt ein Asylan­trag­steller eine Aufforderung nicht, sich zu einem bestimmten Termin zur zwangsweisen Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen EU-Mitgliedstaat einzufinden (Selbst­ge­stellung), folgt allein hieraus kein "Flüchtigsein" im Sinne der Dublin III-VO, so dass eine Verlängerung der Überstel­lungsfrist auf 18 Monate nicht gerechtfertigt ist. Dies hat das Bundes­verwaltungs­gericht in Leipzig heute entschieden.

Die dritt­staats­an­ge­hörigen Kläger haben nach Schutzgesuchen in anderen EU-Mitgliedstaaten Asylanträge in Deutschland gestellt, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) als unzulässig ablehnte (§ 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG). Die Auslän­der­behörde forderte sie deshalb - teilweise nach erfolglosen Überstel­lungs­ver­suchen - auf, sich zur Überstellung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat zu einem bestimmten Termin bei der Polizeibehörde einzufinden. Nachdem sie dem nicht Folge geleistet hatten, verlängerte das Bundesamt die Überstellungsfrist gegenüber den zuständigen Mitgliedstaaten auf 18 Monate, weil sie "flüchtig" seien (Art. 29 Abs. 2 Satz 2 HS. 2 Dublin III-VO).

Vorinstanzen: Frist­ver­län­gerung unzulässig

Die Vorinstanzen haben die Unzuläs­sig­keits­ent­schei­dungen des Bundesamtes aufgehoben. Die Kläger seien nicht flüchtig gewesen. Mithin habe die Überstel­lungsfrist nicht verlängert werden dürfen, so dass die Zuständigkeit für die Durchführung der Asylverfahren inzwischen wegen Ablaufs der Überstel­lungsfrist auf die Beklagte übergegangen sei.

BVerwG verweist auf Rechtsprechung des EuGH

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Schutzsuchender "flüchtig" im Sinne der Dublin III-VO, wenn er sich den für die Durchführung seiner Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln, und sein Verhalten kausal dafür ist, dass eine Überstellung tatsächlich (zeitweilig) objektiv unmöglich ist. Bei der Überprüfung, ob ein Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der daran anknüpfenden behördlichen Verlängerung der Überstel­lungsfrist "flüchtig" war, hat das Gericht alle objektiv bestehenden Gründe zu berücksichtigen, auch wenn die Behörde die Verlän­ge­rungs­ent­scheidung darauf nicht gestützt hat.

Verletzung von Mitwir­kungs­pflichten rechtfertigt nicht die Annahme eines "Flüchtigseins"

Allein eine Verletzung von Mitwirkungspflichten rechtfertigt jedenfalls bei einer zwangsweisen Überstellung nicht die Annahme eines "Flüchtigseins", solange der zuständigen Behörde der Aufenthalt des Antragstellers bekannt ist und sie die objektive Möglichkeit einer Überstellung - gegebenenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwangs - hat. Flugun­wil­ligkeit, der Aufenthalt im offenen Kirchenasyl oder das einmalige Nichtantreffen des Betroffenen in der Unterkunft reichen regelmäßig nicht zur Begründung eines "Flüchtigseins". Ungeachtet der Frage der Rechtsqualität einer Selbstgestellungsaufforderung im Dublin-Überstel­lungs­ver­fahren und deren Ermäch­ti­gungs­grundlage im nationalen Recht begründet auch deren Nichtbefolgung kein "Flüchtigsein" im unions­recht­lichen Sinne.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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