14.11.2024
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Dokument-Nr. 117

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Bundesverfassungsgericht Entscheidung05.01.2005

Neuregelung der Arbeit­neh­mer­über­lassung

Die Verfas­sungs­be­schwerden (Vb) von acht Verlei­hun­ter­nehmen und zwei Arbeit­ge­ber­ver­bänden der Leiha­r­beits­branche, die sich gegen § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­gesetz (AÜG) wandten, sind von der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht zur Entscheidung angenommen worden. Durch die angegriffenen Vorschriften werden Grundrechte der Beschwer­de­führer (Bf) nicht verletzt.

Rechtlicher Hintergrund:

Durch das Erste Gesetz für moderne Dienst­leis­tungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 wurde das Recht der Arbeit­neh­mer­über­lassung teilweise neu konzipiert. Eine Reihe von Beschränkungen wurden aufgehoben. Im Gegenzug wurden verschiedene Regelungen zur Verbesserung der Stellung des Leiha­r­beit­nehmers in das Gesetz aufgenommen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 AÜG). Danach ist der Verlei­hun­ter­nehmer verpflichtet, dem Leiha­r­beit­nehmer die wesentlichen Arbeits­be­din­gungen einschließlich des Arbeitsentgelts vergleichbarer Stamm­a­r­beit­nehmer im Entlei­her­betrieb zu gewähren. Den Tarif­ver­trags­parteien der Leiha­r­beits­branche wird jedoch das Recht eingeräumt, durch Tarifvertrag von diesen Vorgaben abzuweichen. Außerdem können im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Abweichende einzel­ver­tragliche Vereinbarungen sind jedoch unwirksam.

Die Bf rügen unter anderem eine Verletzung ihrer Koali­ti­o­ns­freiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Gleich­be­handlung (Art. 3 Abs. 1 GG).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: 1. Die beschwer­de­füh­renden Arbeit­ge­ber­verbände werden durch die angegriffenen Geset­zes­vor­schriften nicht in ihrer Koali­ti­o­ns­freiheit, deren Schutz auch die Tarifautonomie umfasst, verletzt.

Ob angesichts der in den angegriffenen Vorschriften ausdrücklich geregelten Tarif­öff­nungs­klausel überhaupt in den Schutzbereich der Koali­ti­o­ns­freiheit eingegriffen wird, kann offen bleiben. Der Eingriff wäre jedenfalls verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt.

a) Die angegriffenen Vorschriften dienen der Verbesserung der Stellung der Leiha­r­beit­nehmer und damit dem Schutz ihrer Berufsfreiheit. Durch die Regelung der Arbeits­be­din­gungen soll für die Leiha­r­beit­nehmer ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet werden. Gesetz­ge­be­risches Anliegen war es, die gesell­schaftliche Akzeptanz und die Qualität von Leiharbeit zu steigern und dadurch die Stellung des Leiha­r­beit­nehmers auf dem Arbeitsmarkt zu stärken.

b) Die gesetzlichen Regelungen dienen auch einem verfas­sungs­rechtlich legitimierten Gemein­wohl­belang. Denn sie sollen neue Beschäf­ti­gungs­mög­lich­keiten erschließen. Leiharbeit soll insbesondere als Brücke aus der Arbeits­lo­sigkeit in Beschäftigung genutzt werden. Die Bekämpfung von Masse­n­a­r­beits­lo­sigkeit ist ein Ziel, das Verfassungsrang hat. Die angegriffenen Vorschriften sind geeignet, einen Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu leisten.

c) Die Regelungen wirken sich auf die Tarifautonomie nicht übermäßig belastend aus. Denn auf Grund der gesetzlichen Tarif­öff­nungs­klausel wird das Betäti­gungsrecht der Tarif­ver­trags­parteien nicht eingeschränkt. Sie können die Arbeits­be­din­gungen flexibler gestalten, falls sie die gesetzliche Regelung als zu starr empfinden. Tatsächlich sind seit In- Kraft-Treten der angegriffenen Vorschriften die Arbeits­be­din­gungen in der Leiha­r­beits­branche faktisch durchweg durch tarifliche Regelungen gestaltet worden. Die angegriffenen Regelungen sind den Verlei­hun­ter­nehmen auch zumutbar. Denn die vom Gesetzgeber angestrebte steigende Qualität und Akzeptanz von Leiharbeit nützt auch ihnen, da sich hierdurch ihre Wettbe­wer­bs­be­din­gungen und ihre Stellung im Arbeitsmarkt verbessern können.

2. Die negative Koali­ti­o­ns­freiheit der beschwer­de­füh­renden Verlei­hun­ter­nehmen ist ebenfalls nicht verletzt. Sie bleiben frei darin, einem Arbeit­ge­ber­verband fernzubleiben oder sich mit einem anderen Unternehmen zu einem neuen Arbeit­ge­ber­verband zusam­men­zu­schließen. Auch steht es ihnen frei, sich nicht an den Regelungen eines Verband­s­ta­rif­ver­trages zu orientieren. Sie können auch ohne Anschluss an einen Arbeit­ge­ber­verband selbst einen Tarifvertrag vereinbaren.

3. Die angegriffenen Normen verletzen auch nicht die Berufsfreiheit. Sie greifen zwar in die Berufsausübung der beschwer­de­füh­renden Verlei­hun­ter­nehmen ein. Denn deren Recht, Verträge nach ihrem Willen zu gestalten, wird durch die Regelungen beeinträchtigt. Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat einen Ausgleich getroffen zwischen dem Interesse des Leiha­r­beit­nehmers an zumutbaren Arbeits­be­din­gungen und dem Interesse des Arbeitgebers, die Arbeits­be­din­gungen möglichst kostengünstig gestalten zu können. Dieser Ausgleich ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, da die Regelungen einem legitimen Zweck dienen und verhältnismäßig sind.

4. Auch das Gleich­heitsgebot ist nicht verletzt. Die Arbeitgeber der Leiha­r­beits­branche werden gegenüber den Arbeitgebern anderer Branchen nicht wesentlich ungleich behandelt. Zwar wird für andere Branchen das Arbeitsentgelt nicht gesetzlich geregelt. Die angegriffenen Vorschriften legen aber gerade keine einheitlichen, sondern, je nach Einsatzbranche des Leiha­r­beit­nehmers, unter­schiedliche Arbeits­be­din­gungen fest. Zudem wird den Verlei­hun­ter­nehmen - wie den Arbeitgebern in anderen Branchen auch - die Möglichkeit eröffnet, die Arbeits­be­din­gungen tariflich zu gestalten.

Beschluss vom 29. Dezember 2004 - 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 und 1 BvR 2582/03 -

Quelle: Pressemitteilung Nr. 2/2005 vom 5. Januar 2005 des Bundesverfassungsgerichts

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