Dokument-Nr. 117
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Bundesverfassungsgericht Entscheidung05.01.2005
Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassung
Die Verfassungsbeschwerden (Vb) von acht Verleihunternehmen und zwei Arbeitgeberverbänden der Leiharbeitsbranche, die sich gegen § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) wandten, sind von der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen worden. Durch die angegriffenen Vorschriften werden Grundrechte der Beschwerdeführer (Bf) nicht verletzt.
Rechtlicher Hintergrund:
Durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 wurde das Recht der Arbeitnehmerüberlassung teilweise neu konzipiert. Eine Reihe von Beschränkungen wurden aufgehoben. Im Gegenzug wurden verschiedene Regelungen zur Verbesserung der Stellung des Leiharbeitnehmers in das Gesetz aufgenommen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 AÜG). Danach ist der Verleihunternehmer verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vergleichbarer Stammarbeitnehmer im Entleiherbetrieb zu gewähren. Den Tarifvertragsparteien der Leiharbeitsbranche wird jedoch das Recht eingeräumt, durch Tarifvertrag von diesen Vorgaben abzuweichen. Außerdem können im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Abweichende einzelvertragliche Vereinbarungen sind jedoch unwirksam.
Die Bf rügen unter anderem eine Verletzung ihrer Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: 1. Die beschwerdeführenden Arbeitgeberverbände werden durch die angegriffenen Gesetzesvorschriften nicht in ihrer Koalitionsfreiheit, deren Schutz auch die Tarifautonomie umfasst, verletzt.
Ob angesichts der in den angegriffenen Vorschriften ausdrücklich geregelten Tariföffnungsklausel überhaupt in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit eingegriffen wird, kann offen bleiben. Der Eingriff wäre jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
a) Die angegriffenen Vorschriften dienen der Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer und damit dem Schutz ihrer Berufsfreiheit. Durch die Regelung der Arbeitsbedingungen soll für die Leiharbeitnehmer ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet werden. Gesetzgeberisches Anliegen war es, die gesellschaftliche Akzeptanz und die Qualität von Leiharbeit zu steigern und dadurch die Stellung des Leiharbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt zu stärken.
b) Die gesetzlichen Regelungen dienen auch einem verfassungsrechtlich legitimierten Gemeinwohlbelang. Denn sie sollen neue Beschäftigungsmöglichkeiten erschließen. Leiharbeit soll insbesondere als Brücke aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung genutzt werden. Die Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit ist ein Ziel, das Verfassungsrang hat. Die angegriffenen Vorschriften sind geeignet, einen Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu leisten.
c) Die Regelungen wirken sich auf die Tarifautonomie nicht übermäßig belastend aus. Denn auf Grund der gesetzlichen Tariföffnungsklausel wird das Betätigungsrecht der Tarifvertragsparteien nicht eingeschränkt. Sie können die Arbeitsbedingungen flexibler gestalten, falls sie die gesetzliche Regelung als zu starr empfinden. Tatsächlich sind seit In- Kraft-Treten der angegriffenen Vorschriften die Arbeitsbedingungen in der Leiharbeitsbranche faktisch durchweg durch tarifliche Regelungen gestaltet worden. Die angegriffenen Regelungen sind den Verleihunternehmen auch zumutbar. Denn die vom Gesetzgeber angestrebte steigende Qualität und Akzeptanz von Leiharbeit nützt auch ihnen, da sich hierdurch ihre Wettbewerbsbedingungen und ihre Stellung im Arbeitsmarkt verbessern können.
2. Die negative Koalitionsfreiheit der beschwerdeführenden Verleihunternehmen ist ebenfalls nicht verletzt. Sie bleiben frei darin, einem Arbeitgeberverband fernzubleiben oder sich mit einem anderen Unternehmen zu einem neuen Arbeitgeberverband zusammenzuschließen. Auch steht es ihnen frei, sich nicht an den Regelungen eines Verbandstarifvertrages zu orientieren. Sie können auch ohne Anschluss an einen Arbeitgeberverband selbst einen Tarifvertrag vereinbaren.
3. Die angegriffenen Normen verletzen auch nicht die Berufsfreiheit. Sie greifen zwar in die Berufsausübung der beschwerdeführenden Verleihunternehmen ein. Denn deren Recht, Verträge nach ihrem Willen zu gestalten, wird durch die Regelungen beeinträchtigt. Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat einen Ausgleich getroffen zwischen dem Interesse des Leiharbeitnehmers an zumutbaren Arbeitsbedingungen und dem Interesse des Arbeitgebers, die Arbeitsbedingungen möglichst kostengünstig gestalten zu können. Dieser Ausgleich ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da die Regelungen einem legitimen Zweck dienen und verhältnismäßig sind.
4. Auch das Gleichheitsgebot ist nicht verletzt. Die Arbeitgeber der Leiharbeitsbranche werden gegenüber den Arbeitgebern anderer Branchen nicht wesentlich ungleich behandelt. Zwar wird für andere Branchen das Arbeitsentgelt nicht gesetzlich geregelt. Die angegriffenen Vorschriften legen aber gerade keine einheitlichen, sondern, je nach Einsatzbranche des Leiharbeitnehmers, unterschiedliche Arbeitsbedingungen fest. Zudem wird den Verleihunternehmen - wie den Arbeitgebern in anderen Branchen auch - die Möglichkeit eröffnet, die Arbeitsbedingungen tariflich zu gestalten.
Beschluss vom 29. Dezember 2004 - 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 und 1 BvR 2582/03 -
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.01.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 2/2005 vom 5. Januar 2005 des Bundesverfassungsgerichts
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