21.11.2024
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Dokument-Nr. 30294

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Bundesverfassungsgericht Beschluss19.04.2021

Erfolglose Verfassungs­beschwerde zur Bestands- und Nutzungs­daten­auskunft

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Verfassungs­beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen Vorschriften des Bundesrechts und des schleswig-holsteinischen Landesrechts richtete, die in unter­schied­lichem Umfang die manuelle Bestands- und Nutzungs­daten­auskunft durch Telekom­mu­ni­kations- und Tele­mediendienste­anbieter regeln.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: § 180 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 bis 3 des Allgemeinen Verwal­tungs­ge­setzes für das Land Schleswig-Holstein (Landes­ver­wal­tungs­gesetz ? LVwG) ermächtigt die Polizei zur allgemeinen Bestands­da­te­n­auskunft, Zugangs­da­te­n­auskunft sowie Bestands­da­te­n­auskunft anhand dynamischer und statischer IP-Adressen bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern. § 180 a Abs. 4 LVwG erstreckt diese Befugnisse auf den Abruf von Daten bei Teleme­di­en­diens­tean­bietern und erweitert sie noch um eine – inhaltlich begrenzte – Ermächtigung zur Nutzungsdatenauskunft. § 8 a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verfas­sungs­schutz im Lande Schleswig-Holstein (Landes­ver­fas­sungs­schutz­gesetz ? LVerfSchG) ermächtigt die Verfas­sungs­schutz­behörde zur allgemeinen Bestands­da­te­n­auskunft bei Teleme­di­en­diens­tean­bietern. § 8 a Abs. 1 Satz 2 bis 4 LVerfSchG enthält auch für die Verfas­sungs­schutz­behörde Ermäch­ti­gungs­grundlagen für die allgemeine Bestands­da­te­n­auskunft, Zugangs­da­te­n­auskunft und Bestands­da­te­n­auskunft anhand dynamischer IP-Adressen bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern. Durch den ebenfalls angegriffenen § 15 Abs. 5 Satz 4 Teleme­di­en­gesetz (TMG) werden über einen Verweis auf § 14 Abs. 2 TMG in der hier angegriffenen Gesetzesfassung Diensteanbieter von Telemedien zur Erteilung einer Nutzungs­da­te­n­auskunft für bestimmte, vorwiegend behördliche Zwecke berechtigt.

Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbst­be­stimmung gerügt

Die Beschwer­de­füh­renden rügen insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie eine Verletzung ihres nach Art. 10 Abs. 1 GG gewährleisteten Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heim­nisses.

Verfas­sungs­be­schwerde teils unzulässig und unbegründet

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist unzulässig, soweit die angegriffenen Vorschriften die Bestands- und Nutzungs­da­te­n­auskunft bei Teleme­di­en­diens­tean­bietern betreffen. Hinsichtlich § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und § 8 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LVerfSchG ist die Verfas­sungs­be­schwerde bereits verfristet. Die Beschwer­de­füh­renden haben bezüglich der Regelungen zur Auskunft von Daten bei Teleme­di­en­diens­tean­bietern nicht dargelegt, beschwer­de­befugt zu sein. Das betrifft neben § 180 a Abs. 4 LVwG und § 8 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LVerfSchG auch die ohnehin verspätet angegriffenen Vorschriften § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und § 8 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LVerfSchG. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist jedenfalls unbegründet, soweit sie sich gegen die schleswig-holsteinischen Regelungen zur Bestands­da­te­n­auskunft bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern richtet. Das sind § 180 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 LVwG sowie § 8 a Abs. 1 Satz 2 bis 4 LVerfSchG. Diese Regelungen genügen den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an die verschiedenen Arten der Bestands­da­te­n­auskunft, die der Erste Senat mit Beschlüssen vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 - (Bestands­da­te­n­auskunft I) und vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13 u. a. - (Bestands­da­te­n­auskunft II) klargestellt hat.

Regelungen zur allgemeinen Bestands­da­te­n­auskunft bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern verhältnismäßig

Regelungen zur allgemeinen Bestands­da­te­n­auskunft bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern sind jedenfalls dann verhältnismäßig, wenn sie auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr an das Bestehen einer konkreten Gefahr geknüpft sind und für nachrich­ten­dienstliche Zwecke vorsehen, dass die Auskunft im Einzelfall zur Aufklärung einer beobach­tungs­be­dürftigen Aktion oder Gruppierung geboten sein muss. Die angegriffenen Regelungen zur allgemeinen Bestands­da­te­n­auskunft genügen diesen Anforderungen. § 180 a Abs. 1 Satz 1 LVwG setzt für die Polizei als Eingriffs­schwelle eine „im einzelnen Falle bevorstehende Gefahr“ voraus, was dem Erfordernis einer konkreten Gefahr entspricht. § 8 a Abs. 1 Satz 2 LVerfSchG verlangt für die Verfas­sungs­schutz­behörde, dass die allgemeine Bestands­da­te­n­auskunft „im Einzelfall“ „zu ihrer Aufga­be­n­er­füllung erforderlich ist“. Diese Formulierung kann so ausgelegt werden, dass sie die Gebotenheit der Auskunft zur Aufklärung einer beobach­tungs­be­dürftigen Aktion oder Gruppierung voraussetzt und damit verhältnismäßig ist. Die angegriffenen Regelungen zur Zugangs­da­te­n­auskunft bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern in § 180 a Abs. 2 Satz 1 LVwG und § 8 a Abs. 1 Satz 3 LVerfSchG genügen ebenfalls den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Dazu zählt vorwiegend, dass eine Zugangs­da­te­n­auskunft nur möglich ist, wenn auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Nutzung der erlangten Daten vorliegen.

Regelungen zur Bestands­da­te­n­auskunft anhand von IP-Adressen verfas­sungsmäßig

Auch soweit Regelungen zur Bestands­da­te­n­auskunft bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diensten anhand von IP-Adressen, nämlich § 180 a Abs. 2 Satz 2 und 3 LVwG und § 8 a Abs. 1 Satz 4 LVerfSchG, angegriffen sind, ist die Verfas­sungs­be­schwerde unbegründet. Regelungen zur Bestands­da­te­n­auskunft bei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern anhand dynamischer IP-Adressen müssen aufgrund ihres gesteigerten Eingriffs­ge­wichts zumindest dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von hervorgehobenem Gewicht dienen; dazu zählen jedenfalls die durch das Strafrecht geschützten Rechtsgüter. Dem genügt § 180 a Abs. 2 Satz 2 LVwG auch insoweit, als er diese Maßnahme nicht nur zum Schutz von Leib, Leben oder Freiheit einer Person, sondern teils auch zur Abwehr von Schäden für Sach- oder Vermögenswerte oder die Umwelt eröffnet. Da die Tätigkeit der Nachrich­ten­dienste von vornherein auf den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter gerichtet ist, ist eine ausdrückliche Begrenzung der zu schützenden Rechtsgüter auf diesem Gebiet nicht notwendig.

Dokumentation bei Abruf von Bestandsdaten anhand dynamischer IP-Adressen gewährleistet

Regelungen, die zum Abruf von Bestandsdaten anhand dynamischer IP-Adressen ermächtigen, müssen vorsehen, dass die tatsächlichen Entschei­dungs­grundlagen dokumentiert werden. Die angegriffenen Vorschriften regeln dies in der angegriffenen Fassung zwar nicht ausdrücklich. Gleichwohl erfolgt eine solche Dokumentation aufgrund der dort vorgesehenen Verfah­rens­re­ge­lungen. So steht die Bestands­da­te­n­auskunft anhand von IP-Adressen nach dem Landes­ver­wal­tungs­gesetz grundsätzlich unter einem Richter­vor­behalt und die Paral­lel­maßnahme nach dem Landes­ver­fas­sungs­schutz­gesetz unter dem Vorbehalt einer ministeriellen Anordnung. Beide setzen einen begründeten Antrag voraus, wodurch eine Dokumentation der zugrun­de­lie­genden Tatsachen erreicht wird. Dessen ungeachtet ordnet die aktuelle Gesetzesfassung für die Landespolizei eine Protokollierung nun auch ausdrücklich an.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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