21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss06.06.2007

Unter­su­chungs­ge­fangener muss wegen Verfah­rens­ver­zö­gerung freigelassen werdenVerstoß gegen das Beschleu­ni­gungsgebot im Strafverfahren

Ein Gefangener hat erfolglreich Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Fortdauer der Unter­su­chungshaft erhoben.

Der Beschwer­de­führer befindet sich seit dem 15. Juli 2006 wegen des Verdachts des versuchten Mordes mit schwerer Brandstiftung in Unter­su­chungshaft. Er soll Benzin vor der Wohnungstüre einer ihm bekannten Familie ausgegossen und in Brand gesteckt haben, um die Auswirkungen eines angeblich gegen ihn verhängten "Vodoo-Zaubers" zu beenden.

Im Januar 2007 ordnete das Oberlan­des­gericht Nürnberg die Fortdauer der Unter­su­chungshaft über sechs Monate hinaus an. Auf die dagegen eingelegte Verfas­sungs­be­schwerde hob die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts auf, da dieses nicht dargelegt habe, aus welchem wichtigen Grund ein Urteil noch nicht habe ergehen können (vgl. Presse­mit­teilung Nr. 41/2007 vom 4. April 2007). Daraufhin ordnete das Oberlan­des­gericht im April 2007 erneut die Fortdauer der Unter­su­chungshaft an. Die Verteidigung habe zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit eines psychiatrischen Gutachtens sofort erkennbar gewesen sei. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass der Sachverständige für sein Gutachten auf entsprechende Anknüp­fung­s­tat­sachen angewiesen sei. Deshalb sei es geboten gewesen, das vollständige Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten und den Gutach­tens­auftrag erst nach Vorliegen des Schlussberichts im März 2007 und nicht bereits anlässlich der ersten Vernehmung im Juli 2006 zu erteilen. Dem mit der Sache vertrauten Kriminalbeamten sei ein erheblicher Spielraum bei der Wahl seiner Vorgehensweise zuzubilligen.

Die Verfas­sungs­be­schwerde war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hob die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts auf, da sie den Beschwer­de­führer in seinem Freiheits­grundrecht verletze. Es habe keine Veranlassung bestanden, mit der Beauftragung des Sachver­ständigen bis zum März 2007 zu warten. Das Oberlan­des­gericht muss unverzüglich erneut in der Sache entscheiden, den Haftbefehl aufheben und den Beschwer­de­führer aus der Unter­su­chungshaft entlassen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Freiheits­grund­rechts fehlt für die Fortdauer der Unter­su­chungshaft über sechs Monate hinaus ein wichtiger Grund regelmäßig dann, wenn eine Verfah­rens­ver­zö­gerung dadurch hätte vermieden werden können, dass unmittelbar nach Bekanntwerden eines Begut­ach­tungs­er­for­der­nisses ein entsprechender Gutach­tens­auftrag erteilt worden wäre. Steht bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls fest, dass ein Gutachten – etwa zur Schuldfähigkeit des Betroffenen – eingeholt werden muss, so ist das Verfahren regelmäßig nicht ausreichend gefördert worden, wenn der Gutach­tens­auftrag erst mehrere Monate nach der Festnahme erteilt wurde. Die Begutachtung durch einen Sachver­ständigen ist bei entsprechenden Hinweisen vielmehr umgehend anzuordnen.

Der Beschluss des Oberlan­des­ge­richts wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Notwendigkeit, ein psychiatrisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten einzuholen, war angesichts der vom Beschwer­de­führer abgegebenen Einlassungen zur Tat evident und stand, wie auch das Oberlan­des­gericht ausdrücklich festgestellt hat, bereits im Zeitpunkt der ersten Vernehmung des Beschwer­de­führers im Juli 2006 außer Frage. Weiterer Anknüp­fung­s­tat­sachen bedurfte es deshalb nicht. Ein wie auch immer gearteter Einschät­zungs­spielraum der Ermitt­lungs­be­hörden kommt angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit nicht in Betracht. Wäre das Gutachten rechtzeitig in Auftrag gegeben worden, hätten die Ermittlungen schon im November 2006 abgeschlossen und die Anklageschrift gefertigt werden können. Letzteres ist nunmehr erst am 3. Mai 2007 geschehen, ohne dass das fachpsych­ia­trische Gutachten vorlag. Die daraus resultierende Verzögerung von über fünf Monaten wurzelt ausschließlich im Verant­wor­tungs­bereich der Bayerischen Justizbehörden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 66/07 des BVerfG vom 14.06.2007

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