Dokument-Nr. 4388
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Bundesverfassungsgericht Beschluss06.06.2007
Untersuchungsgefangener muss wegen Verfahrensverzögerung freigelassen werdenVerstoß gegen das Beschleunigungsgebot im Strafverfahren
Ein Gefangener hat erfolglreich Verfassungsbeschwerde gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft erhoben.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 15. Juli 2006 wegen des Verdachts des versuchten Mordes mit schwerer Brandstiftung in Untersuchungshaft. Er soll Benzin vor der Wohnungstüre einer ihm bekannten Familie ausgegossen und in Brand gesteckt haben, um die Auswirkungen eines angeblich gegen ihn verhängten "Vodoo-Zaubers" zu beenden.
Im Januar 2007 ordnete das Oberlandesgericht Nürnberg die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus an. Auf die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hob die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf, da dieses nicht dargelegt habe, aus welchem wichtigen Grund ein Urteil noch nicht habe ergehen können (vgl. Pressemitteilung Nr. 41/2007 vom 4. April 2007). Daraufhin ordnete das Oberlandesgericht im April 2007 erneut die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Die Verteidigung habe zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit eines psychiatrischen Gutachtens sofort erkennbar gewesen sei. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass der Sachverständige für sein Gutachten auf entsprechende Anknüpfungstatsachen angewiesen sei. Deshalb sei es geboten gewesen, das vollständige Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten und den Gutachtensauftrag erst nach Vorliegen des Schlussberichts im März 2007 und nicht bereits anlässlich der ersten Vernehmung im Juli 2006 zu erteilen. Dem mit der Sache vertrauten Kriminalbeamten sei ein erheblicher Spielraum bei der Wahl seiner Vorgehensweise zuzubilligen.
Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht verletze. Es habe keine Veranlassung bestanden, mit der Beauftragung des Sachverständigen bis zum März 2007 zu warten. Das Oberlandesgericht muss unverzüglich erneut in der Sache entscheiden, den Haftbefehl aufheben und den Beschwerdeführer aus der Untersuchungshaft entlassen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Freiheitsgrundrechts fehlt für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus ein wichtiger Grund regelmäßig dann, wenn eine Verfahrensverzögerung dadurch hätte vermieden werden können, dass unmittelbar nach Bekanntwerden eines Begutachtungserfordernisses ein entsprechender Gutachtensauftrag erteilt worden wäre. Steht bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls fest, dass ein Gutachten – etwa zur Schuldfähigkeit des Betroffenen – eingeholt werden muss, so ist das Verfahren regelmäßig nicht ausreichend gefördert worden, wenn der Gutachtensauftrag erst mehrere Monate nach der Festnahme erteilt wurde. Die Begutachtung durch einen Sachverständigen ist bei entsprechenden Hinweisen vielmehr umgehend anzuordnen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Notwendigkeit, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen, war angesichts der vom Beschwerdeführer abgegebenen Einlassungen zur Tat evident und stand, wie auch das Oberlandesgericht ausdrücklich festgestellt hat, bereits im Zeitpunkt der ersten Vernehmung des Beschwerdeführers im Juli 2006 außer Frage. Weiterer Anknüpfungstatsachen bedurfte es deshalb nicht. Ein wie auch immer gearteter Einschätzungsspielraum der Ermittlungsbehörden kommt angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit nicht in Betracht. Wäre das Gutachten rechtzeitig in Auftrag gegeben worden, hätten die Ermittlungen schon im November 2006 abgeschlossen und die Anklageschrift gefertigt werden können. Letzteres ist nunmehr erst am 3. Mai 2007 geschehen, ohne dass das fachpsychiatrische Gutachten vorlag. Die daraus resultierende Verzögerung von über fünf Monaten wurzelt ausschließlich im Verantwortungsbereich der Bayerischen Justizbehörden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.06.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 66/07 des BVerfG vom 14.06.2007
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