15.11.2024
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Dokument-Nr. 3188

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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.09.2006

Wohnungs­durch­suchung bei Tage ohne richterliche Anordnung ist verfas­sungs­widrigZwischen sechs Uhr morgens und neun Uhr abends muss ein Richter erreichbar sein

Der Beschwer­de­führer war an einer Messerstecherei in seiner Wohnung in München beteiligt. Der Vorfall ereignete sich an einem Werktag. Nachdem die herbeigerufenen Polizeibeamten eingetroffen waren, durchsuchten sie gegen 18.00 Uhr die Wohnung des Beschwer­de­führers, um die Tatwaffe aufzufinden. Dabei setzten sie einen Drogenspürhund ein. Der Beschwer­de­führer befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in seiner Wohnung.

Den Antrag des Beschwer­de­führers auf nachträgliche Feststellung der Rechts­wid­rigkeit der Durchsuchung wies das Amtsgericht München zurück. Zur Begründung führte das Gericht unter anderem aus, dass die Durchsuchung ohne vorherige richterliche Genehmigung wegen Gefahr im Verzug zulässig gewesen sei; denn um 18.00 Uhr sei ein richterlicher Durch­su­chungs­be­schluss nicht mehr zu erwirken gewesen. Die Art und Weise der Durchsuchung begegne keinen durchgreifenden Bedenken. Der Einsatz des Drogen­spür­hundes sei zwar nicht veranlasst gewesen, sei aber ohne Folgen geblieben.

Die Verfas­sungs­be­schwerde hatte Erfolg. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass die Entscheidung des Gerichts den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG (Unver­letz­lichkeit der Wohnung) verletzt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Es kann nicht hingenommen werden, dass in einer Stadt der Größe Münchens am frühen Abend gegen 18.00 Uhr eine Wohnung allein auf Grund der Anordnung von Polizeibeamten ohne Gefahr im Verzug und ohne den Versuch, einen richterlichen Durch­su­chungs­be­schluss zu erwirken, durchsucht wird. Sowohl die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden als auch die Ermitt­lungs­richter und die Gerichts­or­ga­ni­sation haben im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene Regel­zu­stän­digkeit des Richters gewahrt bleibt. Die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden müssen regelmäßig versuchen, vor einer Durchsuchung eine richterliche Anordnung zu erlangen. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei um 18.00 Uhr nicht mehr zu erlangen. Dem korrespondiert die verfas­sungs­rechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermitt­lungs­richters zu sichern. Bei Tage (vgl. § 104 Abs. 3 StPO, der im Zusammenhang mit der nächtlichen Hausdurch­suchung als Nachtzeit für die Sommermonate die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und für die Wintermonate von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens definiert) muss die Regel­zu­stän­digkeit des Ermitt­lungs­richters uneingeschränkt gewährleistet sein. Deshalb verpflichtet der Richter­vor­behalt die Länder, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermitt­lungs­richters bei Tage Sorge zu tragen. Soweit es erforderlich erscheint, ist auch sicherzustellen, dass der nicht­rich­terliche Dienst dem Richter zur Verfügung steht.

Die Art und Weise der Durchsuchung, nämlich der Einsatz eines Drogen­spür­hundes, verletzte den Beschwer­de­führer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG. Die Ermitt­lungs­be­hörden haben auch eine erlaubte Durchsuchung auf das erforderliche Maß zu begrenzen, um die Integrität der Wohnung nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, zur Suche nach der Tatwaffe einer Messerstecherei einen Drogenspürhund einzusetzen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 91/06 des BVerfG vom 10.10.2006

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