15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 2513

Drucken
Beschluss29.05.2006Bundesverfassungsgericht2 BvR 820/06
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss29.05.2006

Dinglicher Arrest in gesamtes Vermögen eines Verdächtigen verfas­sungs­widrigBeschlagnahme zukünftig nur noch unter engen Voraussetzungen möglich

Die rechtlichen Anforderungen an die Beschlagnahmung des Vermögens von Tatverdächtigen werden verschärft. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Im Rahmen eines straf­recht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahrens wegen des Verdachts der Förderung der Entwicklung von Atomwaffen wurde der dingliche Arrest in das Vermögen des Beschwer­de­führers angeordnet.

Nachdem der Bundes­ge­richtshof zunächst den dinglichen Arrest in Höhe von rund 2,6 Mio € angeordnet hatte, erhöhte das Amtsgericht den Arrestbetrag auf rund 28 Mio €. Die Gerichte stützten die Anordnung allein auf das Protokoll der Aussage eines in Malaysia vernommenen Zeugen. Dieser habe bekundet, dass der Beschwer­de­führer eine Vergü­tungs­ver­ein­barung über den Arrestbetrag geschlossen habe.

Das Geld sei an eine Reihe von Firmen geflossen, die dem Beschwer­de­führer und dessen Zulieferern gehörten. Aufgrund des Arrestes wurden Pfändungen und eine Siche­rungs­hy­pothek angeordnet, deren Gesamtwert die Staats­an­walt­schaft mit 1, 8 Mio. € veranschlagt.

Die gegen die Arrestanordnung gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde hatte Erfolg. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, da sie den Beschwer­de­führer in seinem Eigen­tums­grundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzen. Die Gerichte hätten sich auf die Aussage eines einzelnen Zeugen gestützt, offensichtliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Aussage aber nicht erörtert und darüber hinaus nicht geprüft, ob an Unternehmen gezahlte Beträge dem Beschwer­de­führer wirtschaftlich zugerechnet werden könnten. Die Sache wurde zu erneuter Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Wird im Wege vorläufiger Siche­rungs­maß­nahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfü­gungs­be­fugnis des Betroffenen entzogen, bedarf es angesichts des schwerwiegenden Eingriffs in das Eigen­tums­grundrecht einer besonders sorgfältigen Prüfung und eingehenden Darlegung, welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen der Annahme zu Grunde liegen, dass es sich um strafbar erlangtes Vermögen handelt.

Gegenstand der Siche­rungs­maßnahme ist nur der Vermö­gens­vorteil, der dem Verfall unterliegen könnte, den also der Täter oder Teilnehmer für die Tat oder aus ihr erlangt hat (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB). Der Erlös aus einer Straftat unterliegt danach nur dann dem Verfall, wenn der Täter zumindest zeitweise eine faktische (Mit )Verfü­gungs­gewalt innegehabt hat. Der Vermö­gens­zuwachs muss dem Täter auf irgendeine Weise wirtschaftlich zu Gute kommen. Das kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, wenn der Täter als Beauftragter, Vertreter oder Organ einer juristischen Person gehandelt hat und der Vorteil aus der Straftat in deren Vermögen fließt. Regelmäßig ist vielmehr davon auszugehen, dass die juristische Person über eine eigene Vermögensmasse verfügt, die von dem Privatvermögen des Beauftragten, Vertreters oder Organs zu trennen ist. Zur Begründung einer Verfa­ll­s­a­n­ordnung gegen den als Organ einer Gesellschaft handelnden Täter bedarf es der Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangt hat, das zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat. Wird der Vermö­gens­vorteil von der Gesellschaft vereinnahmt, kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass der wirtschaftliche Wert der Geschäfts­anteile im Privatvermögen des Täters steigt oder dass sich der Zufluss auf die Höhe einer späteren Entnahme aus dem Gesell­schafts­vermögen auswirkt.

2. Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht. Die Annahme, der Beschwer­de­führer habe einen Betrag von rund 28 Mio. € erhalten, ist unzureichend dargelegt. Es ist von Verfassungs wegen nicht hinnehmbar, die Annahme auf die Aussage eines einzigen Zeugen zu stützen, offensichtliche Zweifel gegenüber der Glaubhaftigkeit dieser Aussage aber nicht zu erörtern. Das Gewicht des Eingriffs macht es unverzichtbar, dass die anordnenden Gerichte die Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage eingehend darlegen und begründen.

Gleichfalls allein auf die Aussage dieses Zeugen stützen die befassten Gerichte die Annahme, die gezahlte Vergütung sei an Firmen geflossen, die dem Beschwer­de­führer oder seinen Zulieferern gehörten. Es ist unzureichend, auf eine Begründung zu verzichten, weshalb an Unternehmen gezahlte Beträge dem Beschwer­de­führer wirtschaftlich so zugerechnet werden könnten, dass sich gegen ihn, nicht aber gegen die Unternehmen, eine Verfa­ll­s­a­n­ordnung richten könnte. Die angegriffenen Beschlüsse lassen die Art der Beteiligung des Beschwer­de­führers an den Unternehmen offen und ebenso seine Möglichkeiten, auf das dort vereinnahmte Geld zuzugreifen. Bei der Anordnung eines Arrestes in dieser Höhe genügen die Gerichte auch nicht den Anforderungen, wenn sie sich allein auf das Protokoll einer Zeugenaussage stützen und gleichzeitig darauf verzichten, sich die Finan­zer­mitt­lungsakten in diesem Verfahren von der Staats­an­walt­schaft vorlegen zu lassen, zumal die Staats­an­walt­schaft ohnehin verpflichtet ist, diese mit der Anklageerhebung dem Gericht vorzulegen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 50/06 des BVerfG vom 09.06.2006

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss2513

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI