21.11.2024
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Dokument-Nr. 4988

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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.09.2007

Strafantritt im offenen oder geschlossenen Vollzug? Drohender Arbeits­platz­verlust muss berücksichtigt werdenStrafvollzug hat soziale Integration als Ziel

Bei der Entscheidung über einen Strafantritt im offenen oder geschlossenen Vollzug ist ein drohender Arbeits­platz­verlust zu berücksichtigen. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. einem am Montag veröf­fent­lichten Beschluss des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hervor. Schon vor Haftantritt muss geprüft werden, ob ein Straftäter für den offenen Vollzug geeignet ist, wenn er durch die Strafe seinen Job zu verlieren droht. Das gebiete das im Grundgesetz geschützte Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresse.

Der Beschwer­de­führer wurde vom Landgericht Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Er beantragte, ihn in eine Einrichtung des offenen Vollzugs zu laden. Er befinde sich derzeit in Freiheit und erfülle ausweislich seines gegenwärtigen Verhaltens die Voraussetzungen für eine Strafverbüßung im offenen Vollzug. Werde er dennoch zunächst in den geschlossenen Vollzug eingewiesen, verliere er seinen festen Arbeitsplatz, den der Arbeitgeber ihm nur für höchstens vier Wochen offen halten könne. Die Staats­an­walt­schaft als Vollstre­ckungs­behörde lehnte den Antrag ab, da ihr insoweit die Zuständigkeit fehle, und lud den Beschwer­de­führer zum Strafantritt in eine geschlossene Anstalt. Die General­staats­an­walt­schaft wies die hiergegen gerichtete Beschwerde zurück. Der hamburgische Vollstre­ckungsplan sehe eine unmittelbare Einweisung in den offenen Vollzug nicht vor. Ein Antrag des Beschwer­de­führers auf gerichtliche Entscheidung wurde vom Oberlan­des­gericht verworfen. Die hamburgische Praxis, die Eignung für den offenen Vollzug erst innerhalb des (geschlossenen) Vollzuges zu überprüfen, sei zur Vermeidung überflüssiger Verlegungen sachgerecht. Für behördliche Ermessensfehler bestünden keine Anhaltspunkte.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat, nachdem ihr die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde zugestellt worden war, eine Regelung getroffen, nach der für Gefangene, die sich in einem festen Arbeits­ver­hältnis befinden, unter näher bestimmten Voraussetzungen über eine Verlegung in den offenen Vollzug spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Haftbeginn und über die Gewährung von Freigang unverzüglich nach der Verlegung zu entscheiden ist.

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, der Beschwer­de­führer habe zunächst begründete Rügen erhoben. Sie nahm die Verfas­sungs­be­schwerde aber nicht zur Entscheidung an, weil Hamburg mit der zwischen­zeitlich erlassenen Regelung ausreichende Vorkehrungen zur Wahrung der schutzwürdigen Belange des Beschwer­de­führers getroffen habe. Angeordnet wurde die Erstattung der Auslagen des Beschwer­de­führers für das Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Grundgesetz verlangt, dass der Strafvollzug auf das Ziel der sozialen Integration ausgerichtet ist. Dem trägt unter anderem die Einrichtung des offenen Vollzuges Rechnung. Nach der Konzeption des Straf­voll­zugs­ge­setzes ist der offene Vollzug, soweit keine Flucht- oder Missbrauchs­gefahr besteht, für geeignete Gefangene die Regel­voll­zugsform. Welche Justiz­voll­zugs­anstalt für den Vollzug einer Freiheitsstrafe zuständig ist und um welchen Anstaltstyp es sich dabei handelt, ergibt sich grundsätzlich aus dem von den Landesbehörden zu erlassenden Vollstre­ckungsplan. Allerdings ermöglicht es § 26 Straf­voll­stre­ckungs­ordnung, vom Vollstre­ckungsplan abzuweichen. Damit kann dem grundrechtlich geschützten Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresse des Verurteilten, auch soweit es durch die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug berührt ist, nicht erst im Stadium des Vollzuges, sondern bereits im Vollstre­ckungs­ver­fahren - also bereits bei der Ladung zum Strafantritt - Rechnung getragen werden. Der Gebrauch dieser Möglichkeit ist von Verfassungs wegen geboten, wenn eine Entscheidung nach den Regelungen des Vollstre­ckungsplans grundrechtlich geschützte Belange des Verurteilten berühren und ihn dabei in unver­hält­nis­mäßiger Weise belasten würde. Die Gefahr einer unver­hält­nis­mäßigen Beein­träch­tigung grundrechtlich geschützter Belange dadurch, dass ein objektiv für den offenen Vollzug geeigneter Verurteilter zunächst in den geschlossenen Vollzug geladen wird, liegt besonders nahe im Hinblick auf den drohenden Verlust eines bestehenden Arbeitsplatzes. Nach diesen Grundsätzen haben die angegriffenen Entscheidungen den Grundrechten des Beschwer­de­führers nicht ausreichend Rechnung getragen. Nach den im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskünften der Justiz­mi­nis­terien der Länder weist die Praxis in den Ländern hinsichtlich der Art und Weise der Berück­sich­tigung dieses Gesichtspunkts erhebliche Unterschiede auf. Dass in Hamburg, anders als in einigen anderen Ländern, der Vollstre­ckungsplan keine allgemeine Regelung enthält, nach der auf freiem Fuß befindliche Verurteilte unter bestimmten Voraussetzungen von vornherein in eine Anstalt des offenen Vollzug zu laden sind, ist für sich genommen nicht zu beanstanden. Verfas­sungs­rechtlich geboten ist nur, dass das Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresse des Betroffenen, einschließlich des Gesichtspunkts der Erhaltung eines bestehenden Arbeits­ver­hält­nisses, bei der Entscheidung über die Ladung in den offenen oder geschlossenen Vollzug in einer Weise berücksichtigt wird, die seiner grund­recht­lichen Bedeutung angemessen ist. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Die Staats­an­walt­schaft hat sich für unzuständig erachtet, über eine Abweichung vom Vollstre­ckungsplan überhaupt zu entscheiden. Damit hat sie ihre Prüfungs­pflichten schon grundsätzlich verkannt. Das Oberlan­des­gericht hat zwar nicht verkannt, dass von den Regelungen des Vollstre­ckungsplans abgewichen werden kann. Mit der Erwägung, es sei sachgerecht, dass über die Eignung des Beschwer­de­führers für den offenen Vollzug nicht die Staats­an­walt­schaft nach Aktenlage, sondern die Anstaltsleitung nach dessen Einweisung entscheide, hat das Oberlan­des­gericht aber unzuläs­si­gerweise eigene Ermes­sen­s­er­wä­gungen an die Stelle des nicht ausgeübten Ermessens der Straf­voll­stre­ckungs­behörde gesetzt. Es hat dies zudem ohne hinreichende tatsächliche Feststellungen getan. Das zentrale Vorbringen des Beschwer­de­führers zum drohenden Verlust seines Arbeitsplatzes ist weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren in der gebotenen Weise abwägend berücksichtigt worden.

Trotzdem blieb die Verfas­sungs­be­schwerde ohne Erfolg. Das Anliegen des Beschwer­de­führers, einen ungerecht­fer­tigten Arbeitsplatzverlust zu vermeiden, der ihm wegen Zeitablaufs drohe, wenn er trotz Eignung für eine Weiterführung seines Arbeits­ver­hält­nisses im offenen Vollzug zunächst in den geschlossenen Vollzug eingewiesen werde, ist mit der zwischen­zeitlich erlassenen hamburgischen Regelung ausreichend berücksichtigt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 100/07 des BVerfG vom 12.10.2007

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