Dokument-Nr. 3558
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.12.2006
Zu Unrecht Beschuldigter erhält Entschädigung für Dauer der UntersuchungshaftErfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Versagung einer Entschädigung für mehrmonatige Untersuchungshaft trotz Freispruchs
Gegen den Beschwerdeführer war vor dem Landgericht Deggendorf ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Tötung seiner vier Monate alten Tochter anhängig. Das Verfahren endete mit einem Freispruch, nachdem sich die Hypothese, der Beschwerdeführer habe seine Tochter erstickt, als nicht haltbar erwiesen hatte. Ein weiteres Gutachten zur Todesursache war zu der Annahme eines plötzlichen Kindstodes gelangt. Das Landgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Beschwerdeführer für die erlittene mehrmonatige Untersuchungshaft zu entschädigen ist.
Gegen die Entscheidung über die Entschädigung legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein unter Hinweis auf § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG), wonach die Entschädigung ausgeschlossen ist, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätten die widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers zur Auffindesituation seiner toten Tochter die Strafverfolgungsmaßnahme wesentlich mitverursacht. Das Oberlandesgericht folgte dieser Argumentation und entschied, dass der Beschwerdeführer nur für den Tag des Vollzugs der vorläufigen Festnahme, nicht aber für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen sei. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass sich der Beschwerdeführer durch sein Aussageverhalten in der Situation des ersten Zugriffs dringend tatverdächtig gemacht habe.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Sache wurde an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt nicht erkennen, dass sich das Gericht mit dem bereits in das Zwischenverfahren eingeführten und im Verfahren über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom Beschwerdeführer in den wesentlichen Teilen nochmals wörtlich wiedergegebenen Gutachten zum Verhalten von Eltern nach einem plötzlichen Kindstod auseinandergesetzt hat. Die Entscheidung stellt nur dar, dass die Aussagen des Beschwerdeführers – was zutrifft – widersprüchlich waren. Dass diese Widersprüchlichkeit jedoch, wie das Gutachten nahe legt, in der durch den plötzlichen Tod seiner Tochter hervorgerufenen Extremsituation des Beschwerdeführers ihre Ursache haben könnte, lässt das Gericht unerörtert. Dabei war – nicht zuletzt angesichts der rechtskräftig festgestellten Unschuld des Beschwerdeführers – eine Auseinandersetzung mit der These des Gutachtens veranlasst, wonach es kein Standardverhalten nach dem plötzlichen Tod eines Säuglings gebe, aber immer sehr belastende, ganz überwiegend zu Unrecht gehegte Selbstzuweisungen, mehr oder weniger mitschuldig am Tod des eigenen Kindes zu sein. Das Gutachten, das sich der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren nochmals zu eigen gemacht hatte, war nach den besonderen, auch durch die Verfahrensgeschichte belegten Umständen des Falles erkennbar von zentraler Bedeutung. Das Oberlandesgericht durfte ihn daher nicht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs mit dem pauschalen Hinweis abtun, der entsprechende Schriftsatz habe vorgelegen. Es hätte ihn vielmehr in den Gründen seiner Entscheidung verarbeiten müssen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.12.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr.122/2006 des BVerfG vom 22.12.2006
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