21.11.2024
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Dokument-Nr. 3558

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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.12.2006

Zu Unrecht Beschuldigter erhält Entschädigung für Dauer der Unter­su­chungshaftErfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen Versagung einer Entschädigung für mehrmonatige Unter­su­chungshaft trotz Freispruchs

Gegen den Beschwer­de­führer war vor dem Landgericht Deggendorf ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Tötung seiner vier Monate alten Tochter anhängig. Das Verfahren endete mit einem Freispruch, nachdem sich die Hypothese, der Beschwer­de­führer habe seine Tochter erstickt, als nicht haltbar erwiesen hatte. Ein weiteres Gutachten zur Todesursache war zu der Annahme eines plötzlichen Kindstodes gelangt. Das Landgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Beschwer­de­führer für die erlittene mehrmonatige Unter­su­chungshaft zu entschädigen ist.

Gegen die Entscheidung über die Entschädigung legte die Staats­an­walt­schaft Beschwerde ein unter Hinweis auf § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Straf­ver­fol­gungs­maß­nahmen (StrEG), wonach die Entschädigung ausgeschlossen ist, wenn der Beschuldigte die Straf­ver­fol­gungs­maßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Nach Auffassung der Staats­an­walt­schaft hätten die wider­sprüch­lichen Angaben des Beschwer­de­führers zur Auffin­de­si­tuation seiner toten Tochter die Straf­ver­fol­gungs­maßnahme wesentlich mitverursacht. Das Oberlan­des­gericht folgte dieser Argumentation und entschied, dass der Beschwer­de­führer nur für den Tag des Vollzugs der vorläufigen Festnahme, nicht aber für die erlittene Unter­su­chungshaft zu entschädigen sei. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass sich der Beschwer­de­führer durch sein Aussa­ge­ver­halten in der Situation des ersten Zugriffs dringend tatverdächtig gemacht habe.

Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde hatte Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hob die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts auf, da sie den Beschwer­de­führer in seinem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Sache wurde an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts lässt nicht erkennen, dass sich das Gericht mit dem bereits in das Zwischen­ver­fahren eingeführten und im Verfahren über die Beschwerde der Staats­an­walt­schaft vom Beschwer­de­führer in den wesentlichen Teilen nochmals wörtlich wiedergegebenen Gutachten zum Verhalten von Eltern nach einem plötzlichen Kindstod ausein­an­der­gesetzt hat. Die Entscheidung stellt nur dar, dass die Aussagen des Beschwer­de­führers – was zutrifft – widersprüchlich waren. Dass diese Wider­sprüch­lichkeit jedoch, wie das Gutachten nahe legt, in der durch den plötzlichen Tod seiner Tochter hervorgerufenen Extremsituation des Beschwer­de­führers ihre Ursache haben könnte, lässt das Gericht unerörtert. Dabei war – nicht zuletzt angesichts der rechtskräftig festgestellten Unschuld des Beschwer­de­führers – eine Ausein­an­der­setzung mit der These des Gutachtens veranlasst, wonach es kein Standa­rd­ver­halten nach dem plötzlichen Tod eines Säuglings gebe, aber immer sehr belastende, ganz überwiegend zu Unrecht gehegte Selbst­zu­wei­sungen, mehr oder weniger mitschuldig am Tod des eigenen Kindes zu sein. Das Gutachten, das sich der Beschwer­de­führer im Beschwer­de­ver­fahren nochmals zu eigen gemacht hatte, war nach den besonderen, auch durch die Verfah­rens­ge­schichte belegten Umständen des Falles erkennbar von zentraler Bedeutung. Das Oberlan­des­gericht durfte ihn daher nicht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs mit dem pauschalen Hinweis abtun, der entsprechende Schriftsatz habe vorgelegen. Es hätte ihn vielmehr in den Gründen seiner Entscheidung verarbeiten müssen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr.122/2006 des BVerfG vom 22.12.2006

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