15.11.2024
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Dokument-Nr. 375

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Bundesverfassungsgericht Urteil12.04.2005

Verfas­sungs­be­schwerde gegen polizeiliche Überwachung mittels GPS erfolglos

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde eines wegen vierfachen Mordversuchs und vier Spreng­stof­f­an­schlägen zu dreizehn Jahren Haft verurteilen Mitglieds der „Antiim­pe­ri­a­lis­tischen Zelle“ zurückgewiesen, aber von Straf­ge­setzgeber und Ermitt­lungs­be­hörden sichernde Maßnahmen gegenüber infor­ma­ti­o­ns­tech­nischen Entwicklungen verlangt. Der Beschwer­de­führer hatte sich gegen die – im straf­recht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahren durchgeführte – polizeiliche Überwachung mit dem satel­li­ten­ge­stützten Ortungssystem GPS und die Verwertung der aus dieser Observation gewonnenen Erkenntnisse gewandt.

Gesetzliche Grundlage für Beweis­er­he­bungen unter Einsatz des GPS und die anschließende Verwertung dieser Beweise ist § 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b Straf­pro­zess­ordnung (StPO). Die Vorschrift ist verfas­sungsgemäß.

Sie ist hinreichend bestimmt, insbesondere ist das in der Norm verwendete Merkmal „besondere für Obser­va­ti­o­ns­zwecke bestimmte Mittel“ genügend konkretisiert. Das Bestimmt­heitsgebot verlangt vom Gesetzgeber, dass er technische Eingriffs­in­strumente genau bezeichnet. Es verlangt aber keine gesetzlichen Formulierungen, die jede Einbeziehung krimi­nal­tech­nischer Neuerungen ausschließen. Wegen des schnellen und für den Grund­rechts­schutz riskanten infor­ma­ti­o­ns­tech­nischen Wandels muss der Gesetzgeber die technischen Entwicklungen aber aufmerksam beobachten und notfalls durch ergänzende Rechtssetzung korrigierend eingreifen. Der Anwen­dungs­bereich des Merkmals „besondere für Obser­va­ti­o­ns­zwecke bestimmte Mittel“ lässt sich durch Geset­zes­aus­legung konkretisieren. Er ergibt sich aus der Abgrenzung zu den Mitteln einfacher optischer Überwa­chung­s­tä­tigkeit einerseits (§ 100 c Abs. 1 Nr. 1a StPO) und den akustischen Überwachungs- und Aufzeich­nungs­techniken andererseits (§ 100 b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO): Es geht um die Ortung und Aufent­halts­be­stimmung durch Beobachtung mit technischen Mitteln. Innerhalb dieses Bereichs hält sich die Verwendung des GPS.

Die Regelung ist auch im Übrigen verfas­sungsgemäß. Eingriffe in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht durch die Verwendung von Instrumenten technischer Observation erreichen in Ausmaß und Intensität typischerweise nicht den unantastbaren Kernbereich privater Lebens­ge­staltung. Darüber hinaus kann durch die technische Observation unter Umständen ein tiefer gehender Eingriff mit Auswirkungen auf unbeteiligte Dritte – etwa das Abhören von Gesprächen – vermieden werden. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass für längerfristige Observationen des Beschuldigten im Gesetz zusätzliche Voraussetzungen formuliert sind und Observationen, die mehr als einen Monat dauern, einer richterlichen Anordnung bedürfen.

Schließlich bedurfte es auch keiner gesonderten gesetzlichen Regelung für einen Einsatz mehrerer Ermitt­lungs­maß­nahmen zur selben Zeit. Durch allgemeine verfah­rens­rechtliche Sicherungen ist eine unzulässige „Rundu­m­über­wachung“, mit der ein umfassendes Persön­lich­keits­profil eines Beteiligten erstellt werden könnte, grundsätzlich ausgeschlossen. Beim Einsatz moderner, insbesondere dem Betroffenen verborgener, Ermitt­lungs­me­thoden müssen die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden aber mit Rücksicht auf das dem "additiven" Grund­recht­s­eingriff innewohnende Gefähr­dungs­po­tential besondere Anforderungen an das Verfahren beachten. So ist sicher zu stellen, dass die Staats­an­walt­schaft als primär verant­wort­licher Entschei­dungs­träger über alle Ermitt­lungs­ein­griffe informiert ist. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber zu beobachten, ob die bestehenden verfah­rens­recht­lichen Vorkehrungen auch angesichts zukünftiger Entwicklungen geeignet sind, den Grund­rechts­schutz effektiv zu sichern und unkoordinierte Ermitt­lungs­maß­nahmen verschiedener Behörden verlässlich zu verhindern.

An diesen Maßstäben gemessen sind die Auslegung und Anwendung des § 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StPO durch das Oberlan­des­gericht und den Bundes­ge­richtshof nicht zu beanstanden.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 31/2005 des BVerfG vom 12.04.2005

der Leitsatz

1. § 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StPO entspricht als Ermäch­ti­gungs­grundlage für Beweis­er­he­bungen unter Einsatz des Global Positioning System und die anschließende Verwertung dieser Beweise den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen.

2. Beim Einsatz moderner, insbesondere dem Betroffenen verborgener, Ermitt­lungs­me­thoden müssen die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden mit Rücksicht auf das dem "additiven" Grund­recht­s­eingriff innewohnende Gefähr­dungs­po­tential besondere Anforderungen an das Verfahren beachten.

3. Wegen des schnellen und für den Grund­rechts­schutz riskanten infor­ma­ti­o­ns­tech­nischen Wandels muss der Gesetzgeber die technischen Entwicklungen aufmerksam beobachten und notfalls durch ergänzende Rechtssetzung korrigierend eingreifen. Dies betrifft auch die Frage, ob die bestehenden verfah­rens­recht­lichen Vorkehrungen angesichts zukünftiger Entwicklungen geeignet sind, den Grund­rechts­schutz effektiv zu sichern und unkoordinierte Ermitt­lungs­maß­nahmen verschiedener Behörden verlässlich zu verhindern.

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