21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.03.2007

Verweis auf "gründliche Ermittlungen" ist keine ausreichende Begründung für über 6-monatige Unter­su­chungshaftErfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Aufrecht­er­haltung von Unter­su­chungshaft

Die Unter­su­chungshaft darf auch bei gravierenden Straftaten nur in Ausnahmefällen länger als sechs Monate dauern. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gab einer Verfas­sungs­be­schwerde eines Mannes statt, der seit über 6 Monaten in Unter­su­chungshaft sitzt. Das OLG Nürnberg hatte die weitere Haftfortdauer angeordnet, weil "gründlich ermittelt" werden müsse. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erachtete "gründliche Ermittlungen" nicht als ausreichenden Grund für eine über sechs Monate dauernde U-Haft.

Der Beschwer­de­führer befindet sich seit dem 15. Juli 2006 wegen des Verdachts des versuchten Mordes mit schwerer Brandstiftung in Unter­su­chungshaft. Die Staats­an­walt­schaft hat noch keine Anklage erhoben. Im September 2006 verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth die Haftbeschwerde des Beschwer­de­führers als unbegründet. Im Januar 2007 ordnete das Oberlan­des­gericht Nürnberg die weitere Fortdauer der Unter­su­chungshaft über sechs Monate hinaus an. Die Besonderheiten des Falles machten gründliche Ermittlungen erforderlich, für die eine lange Bearbei­tungszeit zu veranschlagen sei. Das ursprüngliche Geständnis werde von der Verteidigung nicht anerkannt und müsse unabhängig hiervon nachgeprüft werden. Der Abschluss der polizeilichen Ermittlungen sei für die nächste Zeit zu erwarten, nachdem vor kurzem mehrere beim Landes­kri­mi­nalamt eingeholte Stellungnahmen eingegangen seien.

Die Verfas­sungs­be­schwerde des Beschwer­de­führers, mit der er sich gegen die Aufrecht­er­haltung der Unter­su­chungshaft wandte, war erfolgreich. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hob den Haftfort­dau­e­r­be­schluss des Oberlan­des­ge­richts auf, da er den Beschwer­de­führer in seinem Freiheits­grundrecht in Verbindung mit seinem Anspruch auf ein faires Verfahren verletze. Der Beschluss des Oberlan­des­ge­richts lasse nicht mit der in Haftsachen zu fordernden Gewissheit erkennen, dass das Verfahren nicht durch der Justiz anzulastende Fehler in verfas­sungs­widriger Weise verzögert wurde. Das Oberlan­des­gericht muss unverzüglich erneut in der Sache entscheiden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Nach § 121 Abs. 1 StPO darf Unter­su­chungshaft über sechs Monate hinaus nur aufrecht­er­halten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die Sechs-Monats-Frist stellt dabei nur eine Höchstgrenze dar. Aus § 121 Abs. 1 StPO kann nicht der Schluss gezogen werden, dass das Strafverfahren bis zu diesem Zeitpunkt nicht dem Beschleu­ni­gungsgebot gemäß geführt werden muss. Die Vorschrift erfordert ihrem Wortlaut nach eine doppelte Prüfung. Zum einen müssen Feststellungen darüber getroffen werden, ob die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder andere wichtige Gründe ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben (erste Stufe). Liegen derartige Gründe vor, ist zum anderen erforderlich, dass sie die Fortdauer der Unter­su­chungshaft rechtfertigen (zweite Stufe).

Der Beschluss des Oberlan­des­ge­richts verhält sich zu diesen Voraussetzungen nicht. Vor allem legt er nicht dar, worin die besonderen Schwierigkeiten oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder gar ein anderer wichtiger Grund bestanden haben sollen, die ein Urteil bislang nicht zuließen. Schließlich hat das für die Durchführung der Haupt­ver­handlung zuständige Landgericht Nürnberg-Fürth bereits in seiner Haftbe­schwer­de­ent­scheidung vom September 2006 festgestellt, dass gegen die Einführung der Aussagen des Beschwer­de­führers in das Verfahren keine Bedenken bestehen. Stattdessen beschränkt sich das Oberlan­des­gericht auf die Feststellung, die Besonderheiten des Falles machten gründliche Ermittlungen erforderlich, für die eine lange Bearbei­tungszeit zu veranschlagen sei. Eine Subsumtion unter die engen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO ist darin nicht zu erkennen. Weder werden die Besonderheiten des Falles aufgezeigt noch wird dargelegt, welche Ermitt­lungs­maß­nahmen in welchem Stadium des Verfahrens ergriffen wurden. Die materielle Grund­rechts­po­sition des Betroffenen darf nicht durch eine systematische Verkürzung des einfach-rechtlichen Anwen­dungs­pro­gramms des § 121 Abs. 1 StPO entwertet werden. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit und das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren verlangen eine hinreichende Begründung, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in die Lage versetzt, eine Verletzung des Beschleu­ni­gungs­gebots in Haftsachen zu prüfen.

Ungeachtet dessen könnte die Fortdauer der Unter­su­chungshaft auch nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, der Beschwer­de­führer habe ohnehin mit einer mehrjährigen Haftstrafe zu rechnen. Die Schwere der Tat und die im Raum stehende Straferwartung sind im Zusammenhang mit § 121 StPO ohne jede Bedeutung. Sollte sich im Rahmen der nunmehr erneut durch­zu­füh­renden Haftprüfung ergeben, dass über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder Monaten hinweg keine verfah­rens­för­dernden Ermitt­lungs­hand­lungen stattgefunden haben, kann eine Fortdauer der bereits mehr als sechs Monate andauernden Unter­su­chungshaft nicht angeordnet werden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 41/07 des BVerfG vom 04.04.2007

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