Dokument-Nr. 7508
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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.02.2009
Untersuchung im Intimbereich bei Untersuchungshäftlingen nur bei konkreten Verdachtsmomenten verfassungsgemäßIntimuntersuchung ist nicht generell zulässig - Einzelfallprüfung notwendig
Untersuchungshäftlinge dürfen bei der Einlieferung in eine Haftanstalt nur dann im Intimbereichs untersucht werden, wenn es konkrete Verdachtsmomente gibt. Eine generelle und unabhängig vom Einzelfall durchgeführte Untersuchung ist unzulässig. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht im Falle eines Steuerberaters, der wegen des Vorwurfs der Untreue in Untersuchungshaft saß. Die bei ihm vorgenommene Intimuntersuchung sei rechtswidrig gewesen.
Der Beschwerdeführer, ein Steuerberater, wurde morgens gegen sieben Uhr, als er seine Kinder zur Schule brachte, wegen Verdachts der Bestechlichkeit und der Untreue zum Nachteil des berufsständischen Versorgungswerks für Rechtsanwälte festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht. Nach seinen Angaben musste er sich bei Aufnahme in die Untersuchungshaft entkleiden und durch Justizvollzugsbeamte im Intimbereich untersuchen lassen (Anusinspektion). Widerspruch und Antrag auf gerichtliche Entscheidung hiergegen blieben erfolglos. Das Hanseatische Oberlandesgericht erachtete die Maßnahme für rechtmäßig. Die allgemeine Anordnung, neu aufzunehmende Gefangene entsprechend zu untersuchen, sei zur Wahrung der Ordnung der Vollzugsanstalt (§ 119 Abs. 3 StPO) erforderlich gewesen, nämlich um zu verhindern, dass Betäubungsmittel, Geld oder andere verbotene Gegenstände am oder im Körper versteckt eingeschmuggelt würden.
Steuerberater legt Verfassungsbeschwerde ein
Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats stellte fest, dass das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers verletzt sei:
Justiz ist nicht generell zur Intimuntersuchung berechtigt - Jeder Einzelfall ist besonders abzuwägen
Zu Recht ist das Oberlandesgericht zwar davon ausgegangen, dass das Einbringen von Drogen und anderen verbotenen Gegenständen in Justizvollzugsanstalten eine schwerwiegende Gefahr für die Ordnung der jeweiligen Anstalt darstellt. Es hat aber weder dem besonderen Gewicht der im vorliegenden Fall berührten grundrechtlichen Belange noch den besonderen Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen, die sich für die Zulässigkeit eingreifender Maßnahmen im Vollzug der Untersuchungshaft aus dem generalklauselartigen Charakter der Eingriffsermächtigung des § 119 Abs. 3 StPO sowie aus den Besonderheiten der Untersuchungshaft ergeben.
Häftling hat Anspruch auf Rücksichtnahme
Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, lassen sich im Haftvollzug nicht prinzipiell vermeiden. Der Gefangene hat insoweit aber Anspruch auf besondere Rücksichtnahme. Der bloße Umstand, dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtnahmen einfacher gestalten, ist hier noch weniger als in anderen, weniger sensiblen Bereichen geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu rechtfertigen. Dies gilt in verschärftem Maße für Eingriffe während der Untersuchungshaft, die auf der Grundlage bloßen Verdachts verhängt wird.
Oberlandesgericht verkannte die rechtlichen Voraussetzungen für eine Intimuntersuchung
Indem das Oberlandesgericht die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Umstände des konkreten Falles nicht gewürdigt hat, sondern davon ausgegangen ist, die fragliche Maßnahme sei bei Antritt der Untersuchungshaft generell und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles zulässig, hat es dem Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nicht hinreichend Rechnung getragen. Darüber hinaus hat das Gericht auch Möglichkeiten der milderen Ausgestaltung des Eingriffs wie die nach Auskunft der Justizbehörde üblicherweise praktizierte, das Schamgefühl weniger intensiv berührende Durchführung einer etwaigen Inspektion von Körperhöhlen durch einen Arzt oder eine Ärztin nicht erwogen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 26.02.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 16/2009 des BVerfG vom 26.02.2009
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