15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.01.2008

Erfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen Fortdauer der Unter­su­chungshaftGerichte müssen Verfahren möglichst schnell zu Ende bringen

Der Beschwer­de­führer befindet sich seit Ende Oktober 2006 wegen des Verdachts des unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäu­bungs­mitteln in Unter­su­chungshaft. Im März 2007 erhob die Staats­an­walt­schaft Anklage. Von Mai bis Ende des Jahres 2007 wurden an insgesamt 25 Tagen Haupt­ver­hand­lungs­termine vor dem Landgericht durchgeführt. Vier weitere Forts­et­zungs­termine sollen im Januar und Februar 2008 stattfinden. Den Antrag des Beschwer­de­führers auf Aufhebung oder Außer­voll­zug­setzung des Haftbefehls lehnte das Landgericht ab. Das ObErlan­des­gericht verwarf die hiergegen eingelegte Haftbeschwerde.

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwer­de­führers war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­führer in seinem Freiheits­grundrecht verletzen. Weder das Landgericht noch das Oberlan­des­gericht haben nachvollziehbar dargelegt, welche Umstände für die weiträumige - einer Verfah­rens­be­schleu­nigung in Haftsachen nicht mehr entsprechende - Terminierung verantwortlich sind und ob diese die aufgezeigten Verfah­rens­ver­zö­ge­rungen rechtfertigen können. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Landgericht ist auf das Vorliegen von Verfah­rens­ver­zö­ge­rungen mit keinem Wort eingegangen. Das Oberlan­des­gericht hat diese Frage zwar aufgegriffen. Es unterlässt aber eine hinreichende Analyse der konkreten Verfah­rens­a­bläufe. Es prüft nicht hinreichend, ob angesichts der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft und des seit Beginn der Haupt­ver­handlung im Mai 2007 bereits verstrichenen Zeitraums die Termi­nie­rungs­dichte noch angemessen ist. Der Hinweis auf die bis Oktober 2007 durchgeführten 20 Haupt­ver­hand­lungs­termine allein genügt nicht, zumal dies einer Termi­nie­rungs­dichte von weniger als einem Verhandlungstag pro Woche entspricht. Die Termi­nie­rungs­dichte nimmt gegen Jahresende sogar noch ab. Es wird nicht dargelegt, weshalb nicht an mehreren Wochentagen verhandelt wurde, um das Verfahren zeitgerecht abzuschließen. Bei umfangreichen Verfahren wie dem vorliegenden fordert das Beschleu­ni­gungsgebot in Haftsachen stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Haupt­ver­hand­lungs­planung mit mehr als durch­schnittlich nur einem Haupt­ver­hand­lungstag pro Woche. Der verfas­sungs­recht­lichen Pflicht zur beschleunigten Durchführung einer Haupt­ver­handlung in Haftsachen steht zwar deren Unterbrechung für eine angemesse Zeit zum Zwecke des Urlaubs der Verfah­rens­be­tei­ligten oder auch zum Zweck des Antritts einer Kur nicht grundsätzlich entgegen. Das Beschleu­ni­gungsgebot ist jedoch dann nicht mehr gewahrt, wenn auch außerhalb dieser sich in einem angemessenen Rahmen zu haltenden Unter­bre­chungs­zeiten die in Haftsachen gebotene Termi­nie­rungs­dichte nicht annähernd eingehalten wird.

Soweit für die geringe Termi­nie­rungs­dichte von der Verteidigung geltend gemachte Termins­kol­li­sionen eine Rolle gespielt haben sollten, entlastet dies die Strafkammer nicht von dem Vorwurf einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung. Denn zum einen können derartige Termins­kol­li­sionen bei einer voraus­schauenden Terminsplanung weitgehend vermieden werden. Zum anderen darf die Strafkammer nicht ausnahmslos auf Termins­kol­li­sionen der Verteidiger Rücksicht nehmen. Vielmehr stellt sich dann die Frage, ob andere Pflicht­ver­teidiger zu bestellen sein werden oder inwieweit die Verteidiger verpflichtet werden können, andere Termine zu verschieben.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 17/08 des BVerfG vom 15.02.2008

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