21.11.2024
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Dokument-Nr. 1331

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Bundesverfassungsgericht Beschluss31.10.2005

Erfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechts­wid­rigkeit erlittener Unter­su­chungshaft

Die Verfas­sungs­be­schwerde eines Beschwer­de­führers, der sich gegen die teilweise Zurückweisung seines Antrags auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit erlittener Unter­su­chungshaft wandte, war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass sich das Rechts­schutz­be­dürfnis auch auf die Feststellung bezieht, dass die erlittene Unter­su­chungshaft von Anfang an rechtswidrig war.

Sachverhalt:

Der Beschwer­de­führer befand sich auf Grund eines Haftbefehls, in dem ihm die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wurde, seit Herbst 2003 in Unter­su­chungshaft. Seine im Februar 2004 gegen den Haftbefehl eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht als unbegründet. Auf seine weitere Beschwerde hin hob das Bayerische Oberste Landesgericht auf Antrag der Staats­an­walt­schaft den Haftbefehl auf; es habe kein dringender Tatverdacht der mitglied­s­chaft­lichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung bestanden. Der Beschwer­de­führer wurde aus der Unter­su­chungshaft entlassen.

Daraufhin beantragte der Beschwer­de­führer beim Bayerischen Obersten Landesgericht die Feststellung, dass der Haftbefehl bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sei. Das Gericht stellte jedoch lediglich fest, dass der Haftbefehl im Zeitpunkt der Einlegung der Haftbeschwerde rechtswidrig war. Im Übrigen verwarf es den Antrag als unzulässig, da Gegenstand der gerichtlichen Prüfung der Haftbefehl im Zeitpunkt der Haftbeschwerde sei und nicht die lückenlose Kontrolle der Haftbe­fehls­vor­aus­set­zungen seit dessen Erlass. Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde war erfolgreich. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hob den angegriffenen Beschluss auf und verwies die Sache an das Bayerische Oberste Landesgericht zurück.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Rechts­schutz­be­dürfnis für die Feststellung der Verfas­sungs­wid­rigkeit des angegriffenen Haftbefehls ist nicht dadurch entfallen, dass der Haftbefehl aufgehoben wurde. Ein Feststel­lungs­in­teresse kann vor allem bei schwerwiegenden, tatsächlich aber nicht mehr fortwirkenden Grund­recht­s­ein­griffen fortbestehen. Solche kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz vorbeugend dem Richter vorbehalten hat, so dass ein Feststel­lungs­in­teresse wegen des Eingriffs in das Freiheits­grundrecht auch bei der unter Beachtung der Unschulds­ver­mutung vollzogenen Unter­su­chungshaft zu bejahen ist. Die Beschwerde darf in solchen Fällen nicht wegen prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der zwischen­zeitlich erledigten Maßnahme zu prüfen und gegebenenfalls deren Rechts­wid­rigkeit festzustellen.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat zwar die Anforderungen an die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes dem Grunde nach erkannt, indem es ein Rechts­schut­z­in­teresse des Beschwer­de­führers an der Feststellung der Rechts­wid­rigkeit des mittlerweile aufgehobenen Haftbefehls als gegeben ansah. Es hat jedoch insoweit den effektiven Rechtsschutz des Beschwer­de­führers nicht ausreichend gewahrt, als es den Antrag auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit der Unter­su­chungshaft für den Zeitraum vor Einlegung der Haftbeschwerde als unzulässig verworfen hat. Besteht bei Freiheits­ent­zie­hungen durch Haft ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechts­wid­rigkeit auch dann, wenn sie erledigt sind, so müssen die Fachgerichte dies bei der Frage nach einem Rechts­schut­z­in­teresse beachten. Insoweit kann dem Rehabi­li­tie­rungs­in­teresse des Beschwer­de­führers ein „subsidiärer“ Charakter des Feststel­lungs­be­gehrens nicht entge­gen­ge­halten werden. Die Haftaufhebung ist das „wesensgleiche“ Plus zur Feststellung, dass die Inhaftierung rechtswidrig ist; mit ihr wird die Erkenntnis der Rechts­wid­rigkeit praktisch umgesetzt. Daher bezieht sich das Rechts­schutz­be­dürfnis auch auf die Feststellung, dass die erlittene Unter­su­chungshaft bereits im Zeitpunkt des Haftbe­fehl­s­er­lasses rechtswidrig war. Die gegenteilige Auffassung verkennt Bedeutung und Tragweite des Freiheits­grund­rechts.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 116/05 des BVerfG vom 24.11.2005

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