21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.11.2017

Höhe der Telefongebühr in einer Justiz­voll­zugs­anstalt verstößt gegen Resozi­a­li­sie­rungsgebotVerfas­sungs­be­schwerde erfolgreich

Der Verfas­sungs­be­schwerde eines Strafgefangenen gegen die Höhe der Telefongebühren in einer Justiz­voll­zugs­anstalt wurde stattgegeben. Es verstößt gegen das verfas­sungs­rechtliche Resozi­a­li­sie­rungsgebot, wenn die wirtschaft­lichen Interessen eines Gefangenen missachtet werden, indem der geltend gemachte Anspruch auf Anpassung der Telefongebühren lediglich mit dem Hinweis auf die mit einem privaten Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­an­bieter langfristig eingegangene Vertragsbindung abgelehnt wird. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Im vorliegenden Fall war der Beschwer­de­führer Strafgefangener in einer Justizvollzugsanstalt. Diese verfügt über ein Insas­sen­te­le­fon­system, das von einem privaten Telekommunikationsanbieter auf Grundlage eines mit dem Land Schleswig-Holstein langfristig geschlossenen Vertrags betrieben wird. Alternative Telefon­nut­zungs­mög­lich­keiten bestehen für die Insassen der Justiz­voll­zugs­anstalt nicht. Im Juni 2015 führte der Anbieter einen Tarifwechsel durch, was für den Beschwer­de­führer erheblich höhere Telefonkosten mit sich brachte. Sein an die Justiz­voll­zugs­anstalt gerichteter Antrag, die Telefongebühren an diejenigen außerhalb der Anstalt anzupassen und dabei seine finanziellen Interessen zu wahren, wurde abgelehnt. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht zurück; die Rechts­be­schwerde zum Oberlan­des­gericht blieb ebenfalls ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwer­de­führer vornehmlich die Verletzung seines Grundrechts auf Resozialisierung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG).

Verfas­sungs­be­schwerde zulässig und begründet

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist zulässig und begründet. Der angegriffene Beschluss des Oberlan­des­ge­richts missachtet die aus dem Resozialisierungsgebot erwachsenden Anforderungen an die Wahrung der finanziellen Interessen von Strafgefangenen.

Überhöhte Telefongebühren mit Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit nicht vereinbar

1. Zwar müssen Telekommunikationsdienstleistungen den Gefangenen nicht entgeltfrei zur Verfügung gestellt werden. Allerdings dürfen die Gefangenen auch nicht mit Entgelten belastet werden, die, ohne dass verteuernde Bedingungen und Erfordernisse des Strafvollzugs dies notwendig machten, deutlich über den außerhalb des Vollzuges üblichen liegen. Auch mit dem verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es gebietet, Strafe nur als ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel zu vollziehen, wäre dies nicht vereinbar.

JVA muss Leistungs­er­bringung eines Dritten zu marktgerechten Preisen sicherstellen

Aus diesen Bindungen kann sich die Anstalt nicht nach Belieben lösen, indem sie für die Erbringung von Leistungen Dritte einschaltet. Lässt die Justiz­voll­zugs­anstalt Leistungen durch einen privaten Betreiber erbringen, auf den die Gefangenen ohne eine am Markt frei wählbare Alternative angewiesen sind, muss sie sicherstellen, dass der ausgewählte private Anbieter die Leistung zu marktgerechten Preisen erbringt. Dabei ist für die Beurteilung, ob die Preise des privaten Anbieters noch marktgerecht sind, eine Vertragsbindung der Anstalt an den Anbieter nicht maßgeblich. Auch erfolglose Bemühungen um Tarifan­pas­sungen im Vertrags­ver­hältnis zu dem Anbieter entbinden die Justiz­voll­zugs­anstalt nicht von ihrer Fürsorgepflicht für die Gefangenen.

Verletzung des Grundrechts auf Resozi­a­li­sierung bei Missachtung der finanziellen Interessen des Beschwer­de­führers

2. Das Oberlan­des­gericht hat die Frage der Angemessenheit der Telefontarife ausdrücklich offengelassen. Hierdurch hat es die finanziellen Interessen des Beschwer­de­führers missachtet und ihn dadurch in seinem Grundrecht auf Resozi­a­li­sierung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt. Das Festhalten an dem Vertrag, den das Justiz­mi­nis­terium mit einer Laufzeit von 15 Jahren ausgehandelt hat und dessen vorzeitige Kündigung es auch nicht beabsichtigt, hindert die Justiz­voll­zugs­anstalt nicht daran, dem Beschwer­de­führer marktgerechte Preise in Rechnung zu stellen oder ihm kosten­güns­tigere Alternativen der Telefonnutzung anzubieten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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