15.11.2024
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Dokument-Nr. 2093

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Beschluss18.01.2006Bundesverfassungsgericht2 BvR 2194/99
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.01.2006

Steuerbelastung von mehr als 50 Prozent ist verfas­sungsgemäßKein Halbtei­lungs­grundsatz als Belas­tungs­o­ber­grenze bei der Einkommen- und Gewerbesteuer

Der Beschwer­de­führer ist Inhaber eines Gewerbebetriebs. Er wurde im Jahr 1994 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von 622.878 DM setzte das Finanzamt die Einkommensteuer auf 260.262 DM fest. Die von der Gemeinde festgesetzte Gewer­be­steu­er­schuld des Beschwer­de­führers belief sich auf 112.836 DM.

Gegen den Einkom­men­steu­er­be­scheid 1994 legten die Eheleute erfolglos Einspruch ein, mit dem sie rügten, die Einkommen- und Gewerbesteuer verstoße gegen den vom Zweiten Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts mit Beschluss vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 121) ausgesprochenen „Halbtei­lungs­grundsatz“, da die Gesamtbelastung des Einkommens mit Steuern über 50 v. H. liege. Die Klage, mit der sie sinngemäß beantragten, die Einkommensteuer auf 187.731 DM herabzusetzen, blieb vor dem Finanzgericht und dem Bundesfinanzhof ohne Erfolg. Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde wurde vom Zweiten Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zurückgewiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Der Bundesfinanzhof hat zutreffend angenommen, dass sich dem Beschluss des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 22. Juni 1995 keine verbindliche verfas­sungs­rechtliche Obergrenze für die Gesamtbelastung mit der Einkommen- und Gewerbesteuer entnehmen lässt. Der Beschluss hat keine verfas­sungs­rechtliche Obergrenze für die Gesamtbelastung mit der Einkommen- und Gewerbesteuer zum Gegenstand. Vielmehr ging es allein um die Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens durch eine Vermögensteuer, die neben der Einkommensteuer erhoben wird. Die daraus entstehende Belas­tungs­wirkung ist nicht ohne weiteres mit der Belas­tungs­wirkung vergleichbar, die durch die Einkommen- und Gewerbesteuer entsteht.

2. Die Gesamtbelastung durch Einkommen- und Gewerbesteuer verletzt den Beschwer­de­führer nicht in seinem Eigen­tums­grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Zwar fällt die Steuerbelastung in den Schutzbereich der Eigen­tums­ga­rantie. Der innerhalb einer Besteu­e­rungs­periode erfolgte Hinzuerwerb von Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist tatbestandliche Voraussetzung für die belastende Rechts­fol­ge­n­a­n­ordnung sowohl des Einkommen- als auch des Gewer­be­steu­er­ge­setzes. Der Steuer­pflichtige muss zahlen, weil und soweit seine Leistungs­fä­higkeit durch den Erwerb von Eigentum erhöht ist.

Der Zugriff auf das Eigentum ist jedoch verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt. Aus dem Eigen­tums­grundrecht lässt sich keine allgemein verbindliche, absolute Belas­tungs­o­ber­grenze in der Nähe einer hälftigen Teilung („Halbtei­lungs­grundsatz“) ableiten. Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG („Der Gebrauch des Eigentums soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“) kann nicht als ein striktes, grundsätzlich unabhängig von Zeit und Situation geltendes Gebot hälftiger Teilung zwischen Eigentümer und Staat gedeutet werden. Vielmehr wird die Gestal­tungs­freiheit des Gesetzgebers auch bei der Schran­ken­be­stimmung durch Auferlegung von Steuerlasten durch die allgemeinen Grundsätze der Verhält­nis­mä­ßigkeit begrenzt. Dabei ist wesentlich zu berücksichtigen, dass die zu bewertende Intensität der Steuerbelastung insbesondere bei der Einkommensteuer nicht allein durch die Höhe des Steuersatzes bestimmt wird, sondern erst durch die Relation zwischen Steuersatz und Bemes­sungs­grundlage. Je breiter die Bemes­sungs­grundlage ausgestaltet ist, etwa durch Abschaffung steuerlicher Verscho­nungs­sub­ven­tionen oder Kürzung von Abzügen, desto belastender wirkt sich derselbe Steuersatz für die Steuer­pflichtigen aus. Ferner ist zu bedenken, dass die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zur Versteuerung niedrigerer Einkommen angemessen auszugestalten ist. Wählt der Gesetzgeber einen progressiven Tarifverlauf, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, hohe Einkommen auch hoch zu belasten, soweit beim betroffenen Steuer­pflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die Privat­nüt­zigkeit des Einkommens sichtbar macht. Auch wenn dem Übermaßverbot keine zahlenmäßig zu konkre­ti­sierende allgemeine Obergrenze der Besteuerung entnommen werden kann, darf allerdings die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen für den Regelfall nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt.

Für den Streitfall ist nicht erkennbar, dass eine verfas­sungs­rechtliche Obergrenze zumutbarer Belastung durch Einkommen- und Gewerbesteuer erreicht wäre. Das Einkommen- und Gewer­be­steu­errecht ist auch für hohe Einkommen gegenwärtig nicht so ausgestaltet, dass eine übermäßige Steuerbelastung und damit eine Verletzung der Eigen­tums­ga­rantie festgestellt werden könnte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 19/06 des BVerfG vom 16.03.2006

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