15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil02.03.2006

BVerfG schränkt Fernmel­de­ge­heimnis ein - Fahnder dürfen auf Handydaten und E-Mails zugreifenRecht auf informationelle Selbst­be­stimmung schützt im Herrschafts­bereich des Teilnehmers gespeicherte Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungsdaten

Handy- und E-Mail-Verbin­dungsdaten unterliegen nicht mehr dem Fernmel­de­ge­heimnis, sobald sie beim Empfänger eingegangen sind und der Übertra­gungs­vorgang beendet ist. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Die Daten sind jedoch durch das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung und die Unver­letz­lichkeit der Wohnung geschützt.

Die Verfas­sungs­be­schwerde einer Richterin, die sich gegen die Anordnung der Durchsuchung ihrer Wohnung wegen des Verdachts der Verletzung von Dienst­ge­heim­nissen gewandt hatte, war erfolgreich. Im Rahmen der Durchsuchung war unter anderem auf die im Computer der Beschwer­de­führerin gespeicherten Daten sowie auf die Einzel­ver­bin­dungs­nachweise ihres Mobil­funk­te­lefons Zugriff genommen worden.

Der Bundes­ver­fas­sungs­gericht hob einstimmig die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts auf. Zwar sei nicht das Fernmel­de­ge­heimnis verletzt, da nach Abschluss des Übertra­gungs­vorgangs im Herrschafts­bereich des Kommu­ni­ka­ti­o­ns­teil­nehmers gespeicherte Verbin­dungsdaten nicht vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG umfasst würden. Die Daten seien jedoch durch das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung geschützt. Danach darf auf die beim Kommu­ni­ka­ti­o­ns­teil­nehmer gespeicherten Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen und insbesondere nach Maßgabe des Verhält­nis­mä­ßig­keits­grund­satzes zugegriffen werden. Im vorliegenden Fall sei die Beschwer­de­führerin in ihren Grundrechten verletzt, da die Durch­su­chungs­a­n­ordnung des Landgerichts dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz nicht hinreichend Rechnung trage. Der fragliche Tatverdacht und die erheblichen Zweifel an der Geeignetheit der Durchsuchung stünden außer Verhältnis zu dem Eingriff in die Grundrechte der Beschwer­de­führerin.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die angegriffenen Beschlüsse greifen nicht in das Fernmel­de­ge­heimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) ein.

Die gerichtlichen Anordnungen betrafen ausschließlich in der Privatsphäre der Beschwer­de­führerin gespeicherte Daten über einen bereits abgeschlossenen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­vorgang. Die nach Abschluss des Übertra­gungs­vorgangs im Herrschafts­bereich des Kommu­ni­ka­ti­o­ns­teil­nehmers gespeicherten Verbin­dungsdaten werden nicht durch das Fernmel­de­ge­heimnis, sondern durch das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung geschützt. Der Schutz des Fernmel­de­ge­heim­nisses endet in dem Moment, in dem die Nachricht bei dem Empfänger angekommen und der Übertra­gungs­vorgang beendet ist. Während für den Kommu­ni­ka­ti­o­ns­teil­nehmer keine technischen Möglichkeiten vorhanden sind, das Entstehen und die Speicherung von Verbin­dungsdaten durch den Nachrich­ten­mittler zu verhindern oder auch nur zu beeinflussen, ändern sich die Einfluss­mög­lich­keiten, wenn sich die Daten in der Sphäre des Teilnehmers befinden. Der Nutzer kann sich bei den seiner Verfügungsmacht unterliegenden Geräten gegen den unerwünschten Zugriff Dritter durch vielfältige technische Vorkehrungen schützen. Insoweit besteht eine Vergleich­barkeit mit den sonst in der Privatsphäre des Nutzers gespeicherten Daten. Die spezifischen Risiken eines der Kontroll- und Einwir­kungs­mög­lichkeit des Teilnehmers entzogenen Übertra­gungs­vorgangs, denen Art. 10 Abs. 1 GG begegnen will, bestehen im Herrschafts­bereich des Kommu­ni­ka­ti­o­ns­teil­nehmers nicht mehr.

2. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts verletzen die Beschwer­de­führerin aber in ihrem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) sowie in ihrem Recht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG).

a) Ein Durch­su­chungs­be­schluss, der – wie hier – zielgerichtet und ausdrücklich die Sicherstellung von Datenträgern bezweckt, auf denen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungsdaten gespeichert sein sollen, greift in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung ein. Fernmel­de­ge­heimnis und Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung stehen, soweit es den Schutz der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungsdaten betrifft, in einem Ergän­zungs­ver­hältnis. Greift Art. 10 GG nicht ein, werden die in der Herrschaftssphäre des Betroffenen gespeicherten perso­nen­be­zogenen Verbin­dungsdaten durch das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Damit wird der besonderen Schutz­wür­digkeit der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­um­stände Rechnung getragen und die Vertraulichkeit räumlich distanzierter Kommunikation auch nach Beendigung des Übertra­gungs­vorgangs gewahrt.

Beschränkungen dieses Rechts bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechts­s­taat­lichen Gebot der Normenklarheit entspricht. §§ 94 ff. StPO und insbesondere §§ 102 ff. StPO entsprechen den verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben.

Die Möglichkeit, auf der Grundlage der §§ 94 ff. und §§ 102 ff. StPO auf die im Herrschafts­bereich des Betroffenen gespeicherten Verbin­dungsdaten zuzugreifen, ist für eine wirksame Strafverfolgung nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen. Insbesondere fordern die besondere Schutz­wür­digkeit der Verbin­dungsdaten und das darauf bezogene Ergän­zungs­ver­hältnis zu Art. 10 GG nicht ein Schutzniveau, das einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung nur bei der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zuließe. Soweit das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bei Maßnahmen, die auf Erlangung der bei einem Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­mittler gespeicherten Verbin­dungsdaten gerichtet waren, eine Beschränkung auf Ermittlungen in Bezug auf Straftaten von besonderer Bedeutung für notwendig gehalten hat, kann dies auf die bei dem Betroffenen gespeicherten Verbin­dungsdaten nicht ohne Weiteres übertragen werden. Beim Zugriff auf die Verbin­dungsdaten, die in der Sphäre des Betroffenen gespeichert sind, fehlt es an der Heimlichkeit der Maßnahme. Eine offene Maßnahme bietet dem Betroffenen grundsätzlich die Möglichkeit, bereits der Durchführung der Maßnahme entge­gen­zu­treten, wenn es an den gesetzlichen Voraussetzungen fehlt, oder aber zumindest die Einhaltung der im Durch­su­chungs­be­schluss gezogenen Grenzen zu überwachen.

b) Der erhebliche Eingriff sowohl in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung als auch in die Unver­letz­lichkeit der Wohnung bedarf jeweils im konkreten Fall einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Beim Zugriff auf die bei dem Betroffenen gespeicherten Verbin­dungsdaten ist auf deren erhöhte Schutz­wür­digkeit Rücksicht zu nehmen. Die Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung muss dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich um Daten handelt, die außerhalb der Sphäre des Betroffenen unter dem besonderen Schutz des Fernmel­de­ge­heim­nisses stehen und denen im Herrschafts­bereich des Betroffenen ein ergänzender Schutz durch das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung zukommt. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlag­nah­menden Verbin­dungsdaten sowie die Vagheit des Auffin­de­ver­dachts der Maßnahme entgegenstehen. Dem Schutz der Verbin­dungsdaten muss bereits in der Durch­su­chungs­a­n­ordnung, soweit die konkreten Umstände dies ohne Gefährdung des Unter­su­chungs­zwecks erlauben, durch Vorgaben zur Beschränkung des Beweismaterials auf den tatsächlich erforderlichen Umfang Rechnung getragen werden. Dabei ist vor allem an die zeitliche Eingrenzung der zu suchenden Verbin­dungsdaten zu denken oder an die Beschränkung auf bestimmte Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel, wenn die Auffindung verfah­rens­re­le­vanter Daten in anderen Endgeräten des Betroffenen von vornherein nicht in Betracht kommt.

3. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts tragen dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz nicht hinreichend Rechnung. Der gegen die Beschwer­de­führerin bestehende Tatverdacht war allenfalls als äußerst gering zu bewerten und vermochte keinesfalls die vorgenommenen schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte der Beschwer­de­führerin zu rechtfertigen. Das geringe Gewicht des Tatverdachts folgt bereits aus der Vielzahl von Personen, die für die fragliche Weitergabe der Informationen in Betracht kamen. Einige von ihnen wurden allein aufgrund eigener Bekundungen als Verdächtige ausgeschlossen, andere wurden überhaupt nicht in die Betrachtung einbezogen. Auch die Geeignetheit der Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln war von vorneherein zweifelhaft. Im Zeitpunkt der Durch­su­chungs­a­n­ordnung waren bereits fast fünf Monate seit der mutmaßlichen Tat vergangen. Der fragliche Tatverdacht und die erheblichen Zweifel an der Geeignetheit der Durchsuchung stehen außer Verhältnis zu dem Eingriff in die Unver­letz­lichkeit der Wohnung und das Recht der Beschwer­de­führerin auf informationelle Selbst­be­stimmung. Das Landgericht hätte von Verfassungs wegen von der Anordnung absehen müssen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 13/06 des BVerfG vom 02.03.2006

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