14.11.2024
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Dokument-Nr. 627

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Beschluss07.06.2005Bundesverfassungsgericht2 BvR 1822/04
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.06.2005

Anforderungen an die Anordnung eines dinglichen Arrests im Strafverfahren

Der Beschwer­de­führer (Bf), gegen den die Staats­an­walt­schaft wegen Verdachts des Betruges ermittelt, hatte sich mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde (Vb) gegen die gerichtliche Anordnung eines straf­pro­zes­sualen Arrests (§§ 111 b Abs. 2 und 5, 111 d Straf­pro­zess­ordnung) in sein Vermögen in Höhe von rund 7 Mio. Euro gewandt. Der Arrest sollte der Sicherung der Ansprüche der Geschädigten dienen, die ihr aus der Straftat erwachsen sind („Rückge­win­nungshilfe“). Die Vb war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hob die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts (AG) und Landgerichts (LG) auf, da sie den Bf in seinem Eigen­tums­grundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzen.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hebt hervor, dass das möglicherweise strafrechtlich erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Das Eigen­tums­grundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicher­stel­lungs­in­teresses des Staates mit der Eigen­tums­po­sition des von der Maßnahme Betroffenen. Da derzeit nach dem Ergebnis der bislang vor den insoweit sachnäheren Sozialgerichten geführten Verfahren eine Vollstre­ckungs­mög­lichkeit zugunsten der Geschädigten nicht besteht, diese jahrelang Vollstre­ckungs­mög­lich­keiten nicht wahrgenommen hat und eine den Honoraranspruch betreffende Haupt­sa­cheent­scheidung wegen des Ruhens des Verfahrens nicht absehbar ist, dürfe diese Abwägung hier nicht einseitig zu Lasten des von der Maßnahme Betroffenen gehen. Die Sache wurde an das LG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Dem Bf , einem Arzt, wird vorgeworfen, von 1994 bis 1997 seine ärztliche Tätigkeit als Selbstständiger abgerechnet zu haben, obwohl er faktisch Angestellter des anderweitig Verfolgten Dr. R. gewesen sei. Die von der Geschädigten, einer kassen­ärzt­lichen Vereinigung, ausbezahlten Honorare in Höhe von rund 7 Mio. Euro seien vollständig an ihn geflossen. Das AG erließ im Jahr 2002 zur Sicherung der aus der Straftat erwachsenen Ansprüche der kassen­ärzt­lichen Vereinigung gegen den Bf einen dinglichen Arrest in Höhe von rund 7 Mio. Euro. In seiner hiergegen erhobenen Beschwerde machte der Bf. u.a. geltend, dass auch bei unterstellter Schein­selb­stän­digkeit die abgerechneten ärztlichen Leistungen im abgerechneten Umfang erbracht worden seien und daher kein Schaden in Höhe des Arrestbetrags entstanden sei. Die Beschwerde verwarf das LG zwei Jahre später als unbegründet.

Die im Zusammenhang mit der Honorar­rü­ck­for­derung stehenden Fragen waren und sind Gegenstand weiterer, vorwiegend sozial­ge­richt­licher Streitigkeiten zwischen dem Bf. und der kassen­ärzt­lichen Vereinigung. Im Hinblick auf die zu klärenden Rechtsfragen durch das Bundes­so­zi­al­gericht beziehungsweise Bundes­ver­fas­sungs­gericht in entsprechenden Paral­lel­ver­fahren wurde von den Sozialgerichten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. In einem der Verfahren ordneten die Sozialgerichte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage des Bf. gegen einen Rückforderungs- und Wider­spruchs­be­scheid an und verpflichteten die Geschädigte zur Auszahlung einbehaltener Honorare. Im Hinblick auf die schwierigen Rechtsfragen sowie wegen des Umstandes, dass der Beschwer­de­führer die Honora­ransprüche an seinen Vertragspartner abgetreten bzw. die Honorare nicht persönlich erhalten habe, ordnete das Landes­so­zi­al­gericht an, dass "Zwangs­voll­stre­ckungs­maß­nahmen auf Grund dieser Bescheide nicht mehr ergehen dürfen".

Die Vb gegen die Arrest­be­schlüsse von AG und LG hatte Erfolg.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Die Fachgerichte haben nicht nachvollziehbar begründet, warum von einem das Eigentumsrecht des Bf überwiegenden und für die Maßnahmen erforderlichen Sicher­stel­lungs­be­dürfnis der Geschädigten auszugehen ist.

Das AG hätte vor allem würdigen müssen, dass die Geschädigte trotz frühzeitiger Kenntnis sämtlicher für die nunmehr gesicherten Honorar­rü­ck­for­de­rungs­ansprüche erheblichen Umstände lange Zeit untätig geblieben war. Die Geschädigte erließ zwar zeitnah zur Tatsa­chen­kenntnis einen Rückfor­de­rungs­be­scheid für die Honor­a­r­zah­lungen. Sie machte jedoch über Jahre hinweg keinen Gebrauch von der ihr eröffneten Möglichkeit, den Rückfor­de­rungs­be­scheid im Wege der Zwangs­voll­streckung durchzusetzen. Erst knapp fünf Jahre später schuf sie sich eine Grundlage für die Zwangs­voll­streckung. Da das AG diese Umstände nicht berücksichtigt hat, konnte es zu keinem grund­rechts­kon­formen Abwägungs­er­gebnis kommen.

Das LG hat die Grund­rechts­ver­letzung des Bf vertieft. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des LG stand fest, dass eine Durchsetzung des von der Geschädigten behaupteten Anspruchs zumindest auf absehbare Zeit nicht zu erwarten war – und zwar aus Gründen, die unter anderem die Geschädigte zu verantworten hatte. Im Rahmen der sozial­ge­richt­lichen Klage des Bf gegen den Rückfor­de­rungs­be­scheid hat die Geschädigte durch den Antrag auf Ruhen des Verfahrens zu erkennen gegeben, dass ihr bis auf Weiteres nicht daran gelegen war, einen durchsetzbaren Titel zu erlangen. Das LG hätte daher neben dem langen Zeitablauf auch das sozial­ge­richtliche Prozess­ver­halten der Geschädigten, welches eine Klärung der Anspruchs­be­rech­tigung auf absehbare Zeit verhindert, berücksichtigen müssen.

2. Darüber hinaus fehlen hinreichende Erwägungen, ob der Bf das gesamte Honorar in Höhe des Arrestbetrags von rund 7 Mio. Euro erlangt hat. Der strafrechtliche Vorwurf beruht auf der Annahme, dass der Bf im Rahmen eines „Stroh­mann­ver­hält­nisses“ die abgerechneten Tätigkeiten faktisch wie ein Angestellter des anderweitig Verfolgten Dr. R. erbracht habe. Diese Konstruktion hätte Anlass zu Zweifeln an einer umfänglichen wirtschaft­lichen Verfü­gungs­gewalt des Bf über die ausbezahlten Honorare geben müssen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 56/2005 des BVerfG vom 24.06.2005

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