Dokument-Nr. 627
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.06.2005
Anforderungen an die Anordnung eines dinglichen Arrests im Strafverfahren
Der Beschwerdeführer (Bf), gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts des Betruges ermittelt, hatte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen die gerichtliche Anordnung eines strafprozessualen Arrests (§§ 111 b Abs. 2 und 5, 111 d Strafprozessordnung) in sein Vermögen in Höhe von rund 7 Mio. Euro gewandt. Der Arrest sollte der Sicherung der Ansprüche der Geschädigten dienen, die ihr aus der Straftat erwachsen sind („Rückgewinnungshilfe“). Die Vb war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hob die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts (AG) und Landgerichts (LG) auf, da sie den Bf in seinem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzen.
Das Bundesverfassungsgericht hebt hervor, dass das möglicherweise strafrechtlich erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des von der Maßnahme Betroffenen. Da derzeit nach dem Ergebnis der bislang vor den insoweit sachnäheren Sozialgerichten geführten Verfahren eine Vollstreckungsmöglichkeit zugunsten der Geschädigten nicht besteht, diese jahrelang Vollstreckungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen hat und eine den Honoraranspruch betreffende Hauptsacheentscheidung wegen des Ruhens des Verfahrens nicht absehbar ist, dürfe diese Abwägung hier nicht einseitig zu Lasten des von der Maßnahme Betroffenen gehen. Die Sache wurde an das LG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Sachverhalt:
Dem Bf , einem Arzt, wird vorgeworfen, von 1994 bis 1997 seine ärztliche Tätigkeit als Selbstständiger abgerechnet zu haben, obwohl er faktisch Angestellter des anderweitig Verfolgten Dr. R. gewesen sei. Die von der Geschädigten, einer kassenärztlichen Vereinigung, ausbezahlten Honorare in Höhe von rund 7 Mio. Euro seien vollständig an ihn geflossen. Das AG erließ im Jahr 2002 zur Sicherung der aus der Straftat erwachsenen Ansprüche der kassenärztlichen Vereinigung gegen den Bf einen dinglichen Arrest in Höhe von rund 7 Mio. Euro. In seiner hiergegen erhobenen Beschwerde machte der Bf. u.a. geltend, dass auch bei unterstellter Scheinselbständigkeit die abgerechneten ärztlichen Leistungen im abgerechneten Umfang erbracht worden seien und daher kein Schaden in Höhe des Arrestbetrags entstanden sei. Die Beschwerde verwarf das LG zwei Jahre später als unbegründet.
Die im Zusammenhang mit der Honorarrückforderung stehenden Fragen waren und sind Gegenstand weiterer, vorwiegend sozialgerichtlicher Streitigkeiten zwischen dem Bf. und der kassenärztlichen Vereinigung. Im Hinblick auf die zu klärenden Rechtsfragen durch das Bundessozialgericht beziehungsweise Bundesverfassungsgericht in entsprechenden Parallelverfahren wurde von den Sozialgerichten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. In einem der Verfahren ordneten die Sozialgerichte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage des Bf. gegen einen Rückforderungs- und Widerspruchsbescheid an und verpflichteten die Geschädigte zur Auszahlung einbehaltener Honorare. Im Hinblick auf die schwierigen Rechtsfragen sowie wegen des Umstandes, dass der Beschwerdeführer die Honoraransprüche an seinen Vertragspartner abgetreten bzw. die Honorare nicht persönlich erhalten habe, ordnete das Landessozialgericht an, dass "Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf Grund dieser Bescheide nicht mehr ergehen dürfen".
Die Vb gegen die Arrestbeschlüsse von AG und LG hatte Erfolg.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die Fachgerichte haben nicht nachvollziehbar begründet, warum von einem das Eigentumsrecht des Bf überwiegenden und für die Maßnahmen erforderlichen Sicherstellungsbedürfnis der Geschädigten auszugehen ist.
Das AG hätte vor allem würdigen müssen, dass die Geschädigte trotz frühzeitiger Kenntnis sämtlicher für die nunmehr gesicherten Honorarrückforderungsansprüche erheblichen Umstände lange Zeit untätig geblieben war. Die Geschädigte erließ zwar zeitnah zur Tatsachenkenntnis einen Rückforderungsbescheid für die Honorarzahlungen. Sie machte jedoch über Jahre hinweg keinen Gebrauch von der ihr eröffneten Möglichkeit, den Rückforderungsbescheid im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Erst knapp fünf Jahre später schuf sie sich eine Grundlage für die Zwangsvollstreckung. Da das AG diese Umstände nicht berücksichtigt hat, konnte es zu keinem grundrechtskonformen Abwägungsergebnis kommen.
Das LG hat die Grundrechtsverletzung des Bf vertieft. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des LG stand fest, dass eine Durchsetzung des von der Geschädigten behaupteten Anspruchs zumindest auf absehbare Zeit nicht zu erwarten war – und zwar aus Gründen, die unter anderem die Geschädigte zu verantworten hatte. Im Rahmen der sozialgerichtlichen Klage des Bf gegen den Rückforderungsbescheid hat die Geschädigte durch den Antrag auf Ruhen des Verfahrens zu erkennen gegeben, dass ihr bis auf Weiteres nicht daran gelegen war, einen durchsetzbaren Titel zu erlangen. Das LG hätte daher neben dem langen Zeitablauf auch das sozialgerichtliche Prozessverhalten der Geschädigten, welches eine Klärung der Anspruchsberechtigung auf absehbare Zeit verhindert, berücksichtigen müssen.
2. Darüber hinaus fehlen hinreichende Erwägungen, ob der Bf das gesamte Honorar in Höhe des Arrestbetrags von rund 7 Mio. Euro erlangt hat. Der strafrechtliche Vorwurf beruht auf der Annahme, dass der Bf im Rahmen eines „Strohmannverhältnisses“ die abgerechneten Tätigkeiten faktisch wie ein Angestellter des anderweitig Verfolgten Dr. R. erbracht habe. Diese Konstruktion hätte Anlass zu Zweifeln an einer umfänglichen wirtschaftlichen Verfügungsgewalt des Bf über die ausbezahlten Honorare geben müssen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 27.06.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 56/2005 des BVerfG vom 24.06.2005
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