Dokument-Nr. 3194
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Bundesverfassungsgericht Beschluss05.10.2006
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Fortdauer von UntersuchungshaftGericht muss effektive Bearbeitung von Eilverfahren sicherstellen
Die gegen einen Haftfortdauerbeschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht verletze, da dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot nicht hinreichend Rechnung getragen worden sei. Die Sache wurde zu erneuter Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit September 2005 wegen des Verdachts des Betrugs, der Steuerhinterziehung und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt in Untersuchungshaft. Nachdem die Strafkammer die Termine der Hauptverhandlung für Mai bis Juli 2006 festgelegt hatte, hob sie diese im Mai 2006 unter Hinweis auf einen bevorstehenden Wechsel des Vorsitzenden und des Berichterstatters auf. Die neuen Hauptverhandlungstermine wurden erst für Oktober bis Dezember 2006 bestimmt. Die Gründe hierfür lagen darin, dass der neu bestellte Vorsitzende der Strafkammer wegen seiner früheren Tätigkeit als Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren von der Mitwirkung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen war. Insoweit mussten daher seine Aufgaben von seinem Stellvertreter wahrgenommen werden. Dessen Arbeitskraft war jedoch dadurch, dass er zugleich auch ständiger Vertreter des Vorsitzenden der Jugendkammer ist, bereits erheblich in Anspruch genommen. In letzterer Eigenschaft hatte er ein umfangreiches, mit der Revision angefochtenes Urteil gegen vier Angeklagte nach einer sechsmonatigen Hauptverhandlung abzusetzen. Hinzu kam, dass die Planung seines Jahresurlaubs bereits feststand. Daher war er an einer früheren Durchführung der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer gehindert. Im Rahmen der Haftprüfung ordnete das Oberlandesgericht im Juli 2006 die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Die durch den Vorsitzendenwechsel und die Versetzung des bisherigen Berichterstatters zur Staatsanwaltschaft entstandenen Schwierigkeiten bei der Verfahrensabwicklung hätten zwar zu einer Verfahrensverzögerung geführt. Diese sei jedoch durch gerichtsorganisatorische Maßnahmen nicht zu beseitigen gewesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Das Präsidium eines Gerichts hat bei einer Änderung der Geschäftsverteilung darauf zu achten, dass ein dem Rechtsstaatsprinzip genügender wirkungsvoller Rechtsschutz, zu dem auch die Entscheidung in angemessener Zeit gehört, gewährleistet ist. So hat das Präsidium bei den von ihm getroffenen gerichtsorganisatorischen Maßnahmen etwa die effektive Weiterbearbeitung von Eilverfahren sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund hätte das Oberlandesgericht prüfen müssen, ob der Präsidiumsbeschluss diese Vorgabe hinreichend beachtet hat. Bei einer bereits ein Jahr andauernden Untersuchungshaft können die in diesem Fall bislang bekannten Umstände nicht die Annahme rechtfertigen, dass die erhebliche Verfahrensverzögerung von vier Monaten unvermeidbar war. Die von der Stellenumbesetzung ausgehenden negativen Folgen für das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren waren für das Präsidium absehbar.
Auch der Hinweis des Oberlandesgerichts auf den Wechsel des Berichterstatters zur Staatsanwaltschaft trägt die Annahme einer unvermeidbaren Verfahrensverzögerung nicht. Im Zeitpunkt der Terminsaufhebung stand der genaue Zeitpunkt der Versetzung des Berichterstatters noch nicht fest. In der Praxis ist es durchaus üblich, dass Versetzungen zurückgestellt werden, um den sachgerechten Abschluss einer Hauptverhandlung zu ermöglichen, sofern nicht zwingende Gründe für eine solche Personalmaßnahme vorliegen. Unabhängig davon wäre bei der Absehbarkeit einer Versetzung des Berichterstatters bei Beginn der Hauptverhandlung die Bestellung eines Ergänzungsrichters in Betracht zu ziehen gewesen, um die Aussetzung der Hauptverhandlung zu vermeiden. Auch mit diesen nahe liegenden Gesichtspunkten setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.10.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 94/06 des BVerfG vom 16.10.2006
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