15.11.2024
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Dokument-Nr. 2882

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Beschluss03.07.2006Bundesverfassungsgericht2 BvR 1383/03
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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.07.2006

Auch die Fortschreibung eines Vollzugsplans unterliegt der gerichtlichen KontrolleHäftling hat Rechtsanspruch auf ermes­sens­feh­lerfreie Entscheidung über die Inhalte des Vollzugsplans

Ein Gefangener kann die Fortschreibung seines Haftplans gerichtlich überprüfen lassen. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Der Vollzugsplan habe erhebliche Auswirkungen auf die Lebens­ver­hältnisse des Gefangenen. Daher stehe ihm ein einklagbarer Rechtsanspruch auf ermes­sens­feh­lerfreie Entscheidung über die Inhalte des Vollzugsplans zu.

Der wegen Mordes verurteilte Beschwer­de­führer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justiz­voll­zugs­anstalt. Der für ihn im Jahr 1999 erstellte Vollzugsplan wurde in den folgenden Jahren fortgeschrieben. Die Vollzugs­plan­fort­s­chreibung für das Jahr 2002 enthält – wie bereits die vorhergehende Fortschreibung – die Feststellung, dass der Beschwer­de­führer für Vollzugs­lo­cke­rungen nicht geeignet sei. Eine Flucht- oder Missbrauchs­gefahr könne nicht mit der erforderlichen Wahrschein­lichkeit ausgeschlossen werden.

Den gegen die in der Vollzugs­plan­fort­s­chreibung getroffene Feststellung, dass er für Vollzugs­lo­cke­rungen nicht geeignet sei, gerichteten Antrag des Beschwer­de­führers wies das Landgericht als unzulässig zurück. Es handle sich nicht um eine anfechtbare regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Straf­voll­zugs­gesetz (StVollzG), denn der Beschwer­de­führer habe im Vorfeld der Vollzugs­plan­kon­ferenz keine Lockerungen beantragt. Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde des Beschwer­de­führers hatte Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass die angegriffene Entscheidung den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (Rechts­schutz­ga­rantie) verletzt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die gesetzliche Regelung für den Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Strafvollzug ist im Lichte der Rechts­schutz­ga­rantie des Grundgesetzes auszulegen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justiz­voll­zugs­anstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es deshalb darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt. Dies trifft für die hier in Frage stehenden locke­rungs­be­zogenen Elemente des Vollzugsplans zu. Der Vollzugsplan ist vom Straf­voll­zugs­gesetz als zentrales Element für einen dem Resozi­a­li­sie­rungsziel verpflichteten Vollzug vorgesehen. Er muss einen bestimmten Mindestinhalt enthalten und ist regelmäßig nach Maßgabe der Entwicklung des Gefangenen und weiterer neu gewonnener Erkenntnisse über seine Persönlichkeit fortzuschreiben. Da die Festlegungen des Vollzugsplans bei der Entscheidung über konkrete Behand­lungs­maß­nahmen zu berücksichtigen sind, haben sie erhebliche Auswirkungen auf die Lebens­ver­hältnisse des Gefangenen.

Auf die Einhaltung der den Vollzugsplan betreffenden gesetzlichen Bestimmungen und die ermes­sens­feh­lerfreie Entscheidung über die Inhalte des Vollzugsplans hat der Gefangene einen einklagbaren Rechtsanspruch. Die Möglichkeit einer Rechts­ver­letzung durch locke­rungs­be­zogene Lücken oder Inhalte des Vollzugsplans besteht deshalb unabhängig davon, ob der Gefangene zuvor konkrete Locke­rungs­maß­nahmen beantragt hat. Daher kann von einem solchen voraus­ge­gangenen Antrag auch der Regelung­s­cha­rakter im Sinne des § 109 StVollzG nicht abhängen.

Eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG liegt auch nicht nur dann vor, wenn ein Vollzugsplan erstmalig aufgestellt wird. Auch der Fortschreibung bisheriger Inhalte des Vollzugsplans kommt Regelungsgehalt zu. Das gilt jedenfalls insoweit, als die Fortschreibung hinsichtlich der jeweiligen Behand­lungs­maßnahme auf erneuter Prüfung beruht oder eine erneute Prüfung erforderlich gewesen wäre. Denn die Beibehaltung von Planinhalten im Rahmen einer Fortschreibung steht, jedenfalls unter den genannten Voraussetzungen, im Hinblick auf die Funktion des Vollzugsplans der erstmaligen Festsetzung neuer Inhalte gleich.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 75/2006 des BVerfG vom 22.08.2006

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