21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.08.2006

Polizei darf Ortung durch Mobilfunkdaten durchführenKein Verstoß der Grundrechte - Daten von Unbeteiligten werden sofort gelöscht

Die Beschwer­de­führer – eine Bürger­rechts­or­ga­ni­sation, zwei Rechtsanwälte, ein Pfarrer, ein Steuerberater sowie eine (zwischen­zeitlich verstorbene) Journalistin – sind der Auffassung, dass die Ermittlung der Geräte- und Kartennummern sowie des Standorts von Mobiltelefonen durch Einsatz eines „IMSI-Catchers“ ein nicht gerecht­fer­tigter Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 10 GG (Fernmel­de­ge­heimnis) sei. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Mobiltelefone, die in empfangs­be­reitem Zustand mitgeführt werden, melden sich in kurzen Abständen bei der für sie gerade „zuständigen“ Basisstation des Mobilfunknetzes an. Das gesamte Mobilfunknetz ist entsprechend einem Raster in einzelne Zellen aufgeteilt. Zum Empfang eingehender Anrufe oder Kurzmit­tei­lungen ist die genaue Lokalisierung des Standortes des Mobiltelefons durch den Mobil­fun­knetz­be­treiber nötig. Im Rahmen dieser ständigen Positionsangabe werden unter anderem die Kartennummer (IMSI) und die Gerätenummer (IMEI) des Mobiltelefons an die Basisstation gesendet. Dieses Prinzip nutzt der „IMSI-Catcher“, indem er innerhalb einer Funkzelle eine Basisstation des Mobilfunknetzes simuliert. Sämtliche eingeschalteten Mobiltelefone, die sich im Einzugsbereich des „IMSI-Catchers“ befinden, senden nunmehr ihre Daten an diesen. Auf diese Weise ist es möglich, Karten- und Gerätenummer sowie den Standort des Mobiltelefons zu ermitteln.

Rechtsgrundlage für den Einsatz des „IMSI-Catchers“ im Strafverfahren ist § 100 i Straf­pro­zess­ordnung. Nach Absatz 1 Nr. 1 dieser Vorschrift dürfen zur Vorbereitung einer Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­über­wachung die Geräte- und Kartennummer eines aktiv geschalteten Mobiltelefons durch Einsatz technischer Mittel ermittelt werden. Absatz 1 Nr. 2 der Vorschrift erlaubt die genaue Stand­ort­be­stimmung eines Mobiltelefons zum Zwecke der Ergreifung eines Beschuldigten.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die Beschwer­de­führer sind nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG verletzt. Die Datenerhebung nach § 100 i Abs. 1 StPO greift nicht in den Schutzbereich des Fernmel­de­ge­heim­nisses ein. Denn sie steht nicht im Zusammenhang mit einem Kommu­ni­ka­ti­o­ns­vorgang und betrifft auch keinen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalt im Sinne des Art. 10 Abs. 1 GG. Die Feststellung der Geräte- oder Kartennummer eines im Bereich einer simulierten Funkzelle befindlichen Mobiltelefons durch den Einsatz eines „IMSI- Catchers“ ist unabhängig von einem tatsächlich stattfindenden oder zumindest versuchten Kommu­ni­ka­ti­o­ns­vorgang zwischen Menschen. Beim Einsatz des „IMSI-Catchers“ „kommunizieren“ ausschließlich technische Geräte miteinander. Es fehlt an einem menschlich veranlassten Infor­ma­ti­o­ns­aus­tausch, der sich auf Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalte bezieht. Das Aussenden der Daten erfolgt unabhängig von einem konkreten Kommu­ni­ka­ti­o­ns­vorgang oder dem Aufbau einer Kommu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bindung, die einen personalen Bezug hat; der Datenaustausch ist ausschließlich zur Sicherung der Betrie­bs­be­reit­schaft nötig, trägt keine individuellen und kommunikativen Züge. Eine technische Kommunikation zwischen Geräten weist nicht das spezifische Gefah­ren­po­tential auf, vor dem Art. 10 Abs. 1 GG Schutz gewährleistet.

2. Die Beschwer­de­führer werden durch die Erhebung und die kurzzeitige Speicherung der IMSI- und IMEI-Kennung ihrer Mobiltelefone als unbeteiligte Dritte auch nicht unver­hält­nismäßig in ihrem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung betroffen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass auch die technischen Kommu­ni­ka­ti­o­nsdaten einen schutzwürdigen Aussagegehalt haben, weil sie – wenn auch nur nach voraus­ge­gangener Identifizierung der Person über eine Zuordnung der IMSI- oder IMEI-Nummer – einen Schluss darauf zulassen, welche Person sich im Bereich der virtuellen Funkzelle aufhält und ein betrie­bs­be­reites Mobiltelefon mit sich führt. Andererseits ist in Rechnung zu stellen, dass die vermehrte Nutzung elektronischer oder digitaler Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel und deren Vordringen in nahezu alle Lebensbereiche die Strafverfolgung erschwert hat.

Bei der Durchführung von Maßnahmen nach § 100 i StPO haben die Ermitt­lungs­be­hörden darauf Bedacht zu nehmen, dass die Grund­rechts­po­si­tionen der unbeteiligten Dritten nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus berührt werden. Anhaltspunkte für eine Missachtung dieses Gebots liegen nicht vor. Die technischen Kommu­ni­ka­ti­o­nsdaten werden automatisch und anonym abgeglichen und unverzüglich gelöscht. Nach Auskunft des Bundes­kri­mi­nalamtes werden unbeteiligte Dritte nicht identifiziert. Die Speicherung ihrer Daten erfolgt maximal für die Dauer des Messeinsatzes. Danach werden die Daten von der Festplatte des Messsystems ohne weitere Bearbeitung und Prüfung unverzüglich und unwiderruflich gelöscht. Angesichts der geringen Eingriff­sin­tensität ist es auch nicht unver­hält­nismäßig, auf die Benach­rich­tigung mitbetroffener Dritter zu verzichten.

3. Auch ein Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungs­freiheit ist nicht ersichtlich. Laufende Gespräche oder anderweitige Kommu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungen werden wegen der Funktionsweise des „IMSI-Catchers“ nicht gestört. Soweit durch den Einsatz des „IMSI-Catchers“ beim Erfassen der IMSI- oder IMEI- Nummer für einige Sekunden die Herstellung einer Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bindung für ein einzelnes Mobiltelefon nicht möglich ist, geht dieser Eingriff nicht über das Maß an Empfangs- und Sendestörungen hinaus, die im Mobil­funk­betrieb alltäglich auftreten.

4. Das Bundes­mi­nis­terium der Justiz arbeitet seit längerem an einer Gesamtregelung der straf­pro­zes­sualen heimlichen Ermitt­lungs­maß­nahmen, die die Vorschriften zur Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­über­wachung und somit auch § 100 i StPO umfassen. Bei der Umsetzung dieser Vorschläge wird der Gesetzgeber die technischen Entwicklungen wegen des schnellen und für den Grund­rechts­schutz riskanten infor­ma­ti­o­ns­tech­nischen Wandels aufmerksam beobachten und gegebenenfalls durch Rechtssetzung korrigierend eingreifen müssen. Dabei wird zu prüfen sein, ob verfah­rens­rechtliche Vorkehrungen – wie etwa Benach­rich­ti­gungs­pflichten oder Rechts­schutz­mög­lich­keiten – zu erweitern sind, um den Grund­rechts­schutz effektiv zu gewährleisten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 93/06 des BVerfG vom 13.10.2006

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