14.11.2024
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Dokument-Nr. 1409

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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.11.2005

Erfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen Auslieferung nach Vietnam

Die Verfas­sungs­be­schwerde einer vietnamesischen Staats­an­ge­hörigen, die auf Grund eines vietnamesischen Haftbefehls an die Sozialistische Republik Vietnam ausgeliefert werden soll, war erfolgreich.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass die Entscheidung des Kammergerichts, das die Auslieferung für zulässig erklärt hatte, die Beschwer­de­führerin in ihrem Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Das Kammergericht habe den Vortrag der Beschwer­de­führerin zur mangelnden Rechts­s­taat­lichkeit des Strafverfahrens in Vietnam nicht hinreichend berücksichtigt. Die Beschlüsse wurden aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Die Beschwer­de­führerin kam 1994 nach Deutschland. In den Jahren 1995/96 soll sie die Geliebte eines Chefs des vietnamesischen Zigaret­ten­schmugg­lerrings in Berlin gewesen sein. Im Sommer 1998 verließ sie Deutschland, kam aber im August 1998 zurück, um als Zeugin in Strafverfahren gegen Chefs der vietnamesischen Zigarettenbande auszusagen. Nach einem Monat kehrte sie freiwillig nach Vietnam zurück. Im Jahr 2000 reiste sie wieder nach Deutschland ein. Die vietnamesischen Behörden ersuchten Anfang 2004 um die Auslieferung der Beschwer­de­führerin auf Grund eines vietnamesischen Haftbefehls wegen des Kaufs von jeweils 350 g Heroin in sieben Fällen zwischen Herbst 1998 und Sommer 1999. Daraufhin wurde die Beschwer­de­führerin in Deutschland festgenommen.

Die Beschwer­de­führerin beantragte, das Auslie­fe­rungs­er­suchen für unzulässig zu erklären, da das Strafverfahren in Vietnam rechts­s­taat­lichen Minde­st­an­for­de­rungen nicht genüge. Der Tatvorwurf sei lediglich konstruiert, um sie als Zeugin in den laufenden Prozessen in Deutschland gegen Mitglieder der vietnamesischen Zigarettenmafia auszuschalten. Die sie belastenden Aussagen stammten allein von einem bereits hingerichteten Mitbe­schul­digten. Das Geständnis sei nicht auf rechts­s­taat­lichem Wege gewonnen worden. Das angerufene Kammergericht sah jedoch keinen Anlass für eine Tatver­dachts­prüfung und erklärte die Auslieferung für zulässig. Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde der Beschwer­de­führerin hatte Erfolg.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Ausein­an­der­setzung mit den Ausführungen und Stellungnahmen zur Rechts­s­taat­lichkeit des Strafverfahrens in Vietnam sind maßgeblich für die Entscheidung über die Auslieferung. Denn davon hängt ab, ob das Kammergericht dies zum Anlass nimmt, den Tatverdacht gegen die Beschwer­de­führerin anhand vietnamesischer Unterlagen näher zu prüfen. Das Kammergericht könnte dadurch zu dem Ergebnis kommen, dass der Beschwer­de­führerin in Vietnam ein Verfahren droht, das gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard im Sinne des Art. 25 GG verstößt.

Das Kammergericht hat den Anspruch der Beschwer­de­führerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Es hat nicht zu der grundsätzlichen Frage Stellung genommen, ob Strafverfahren in Vietnam rechts­s­taat­lichen Minde­st­an­for­de­rungen genügen und inwiefern dies bei Drogendelikten zusätzlich problematisch sei. Die Beschwer­de­führerin hatte dazu immer wieder aktuelle und umfangreiche Auskünfte anerkannter Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tionen und verschiedener Regierungen sowie Zeitungsartikel vorgelegt. Die Frage, ob die Verbindungen der Beschwer­de­führerin zur Zigarettenmafia und zum Ausland sowie der behauptete bisherige Gang des Verfahrens in Vietnam zu weiteren rechts­s­taat­lichen Bedenken Anlass geben, streifte das Kammergericht nur. Hinzu kommt, dass das Kammergericht sich auch mit den drei Stellungnahmen von Organisationen zur Rechts­s­taat­lichkeit des Verfahrens im Fall der Beschwer­de­führerin nicht ausein­an­der­gesetzt hat. Selbst behördliche Äußerungen fanden keinen Niederschlag in den Entscheidungen. So hat das Kammergericht die Einschätzung der General­staats­an­walt­schaft, wonach nicht von vorneherein ausgeschlossen werden könne, dass in bestimmten kriminellen vietnamesischen Kreisen ein Interesse daran bestehe, die Beschwer­de­führerin als Zeugin auszuschalten oder sich an ihr zu rächen, nicht erwähnt.

Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Kammergericht bei einer umfassenden Auswertung der Auskünfte unter Berück­sich­tigung des gesamten Vortrags der Beschwer­de­führerin und anderer Behörden zu einem anderen Ergebnis kommt.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 119/05 des BVerfG vom 02.12.2005

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