14.11.2024
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Dokument-Nr. 5475

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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.12.2007

BVerfG zur Weiter­be­schäf­tigung eines Strafgefangenen bei einem privaten UnternehmenÖffentlich-rechtliche Verant­wort­lichkeit der Justiz­voll­zugs­anstalt

Werden Gefangene bei privaten Unternehmen beschäftigt, so darf die Zuordnung von Entschei­dungs­be­fug­nissen und Verantwortung von Verfassungs wegen nicht so beschaffen sein, dass Gefangene für Ansprüche, die ihr Arbeits­ver­hältnis betreffen, keinen handlungs- und verant­wor­tungs­fähigen Adressaten mehr vorfinden. Grund­recht­s­er­hebliche Belange, für die der Gefangene rechtlichen Schutz erwarten darf, müssen entweder, wie im Fall des freien Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses, durch privat­rechtliche Ansprüche gegenüber dem Unternehmer, oder durch öffent­lich­rechtliche Verant­wort­lich­keiten der Anstalt geschützt sein. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Der Beschwer­de­führer ist Strafgefangener in einer Justiz­voll­zugs­anstalt. Im Juni 2003 löste die Anstalt ihn aufgrund eines Diebstahl­s­ver­dachts von der bis dahin von ihm wahrgenommenen Nebentätigkeit als Einkaufshelfer bei einem privaten Unternehmen ab, das in der Anstalt die Einkaufsstelle für Gefangene betreibt. Nachdem der Beschwer­de­führer von dem Diebstahl­s­vorwurf freigesprochen worden war, wurde die Ablösungs­ver­fügung aufgehoben. Den Antrag des Beschwer­de­führers auf Wieder­ein­setzung in seine Tätigkeit als Einkaufshelfer lehnte die Vollzugsanstalt mit der Begründung ab, das betreffende Privat­un­ter­nehmen wolle ihn nicht wieder beschäftigen und die Anstalt könne ihm daher die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit nicht ermöglichen. Auch das angerufene Landgericht wies den Antrag zurück, da die unter­neh­me­rische Entscheidung, den Beschwer­de­führer nicht wieder zu beschäftigen, zu respektieren sei. Entschei­dungs­prozesse des privaten Unternehmens könnten nicht Gegenstand einer Gefan­ge­nen­be­schwerde sein. Die Justiz­voll­zugs­anstalt sei zwar zur Beseitigung der Folgen der gerichtlich aufgehobenen Ablösungs­ver­fügung verpflichtet. Sie müsse dem Privat­un­ter­nehmen jedoch die Wieder­be­schäf­tigung des Beschwer­de­führers lediglich antragen, was hier geschehen sei.

Der Beschwer­de­führer hatte demgegenüber unter Benennung von Zeugen vorgetragen, der zuständige Vertreter des Unternehmens habe sich ihm gegenüber über die Behauptung der Anstalt, er sei zu einer Weiter­be­schäf­tigung nicht bereit, überrascht geäußert und erklärt, von ihm aus könne der Gefangene jederzeit wieder anfangen. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hob die angegriffenen Entscheidungen auf.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Werden Gefangene bei privaten Unternehmen beschäftigt, so darf die Zuordnung von Entschei­dungs­be­fug­nissen und Verantwortung von Verfassungs wegen nicht so beschaffen sein, dass Gefangene für Ansprüche, die ihr Arbeits­ver­hältnis betreffen, keinen handlungs- und verant­wor­tungs­fähigen Adressaten mehr vorfinden. Grund­recht­s­er­hebliche Belange, für die der Gefangene rechtlichen Schutz erwarten darf, müssen entweder, wie im Fall des freien Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses, durch privat­rechtliche Ansprüche gegenüber dem Unternehmer, oder durch öffent­lich­rechtliche Verant­wort­lich­keiten der Anstalt geschützt sein. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat dementsprechend die Regelungen des Straf­voll­zugs­ge­setzes zur Gefan­ge­ne­n­arbeit gerade und nur im Hinblick darauf als verfas­sungs­konform angesehen, dass für die Beschäf­ti­gungs­ver­hältnisse der Gefangenen, soweit sie nicht dem Schutz des Arbeitsrechts unterstehen, eine öffentlich-rechtliche Verant­wort­lichkeit der Anstalt besteht.

Sowohl die Justiz­voll­zugs­anstalt als auch das Landgericht haben die grund­recht­lichen Anforderungen an den Umgang mit dem Begehren des Beschwer­de­führers verkannt. Mit der Frage, wie die vom Beschwer­de­führer ausgeübte Einkaufs­hel­fer­tä­tigkeit in das Regelwerk des Straf­voll­zugs­ge­setzes zur Gefan­ge­ne­n­arbeit rechtlich einzuordnen ist, haben sie sich nicht ausein­an­der­gesetzt. Sie haben hinsichtlich der Entscheidung über die Wieder­be­schäf­tigung des Beschwer­de­führers jede über eine bloße Anregung an das Betrei­ber­un­ter­nehmen hinausgehende Verant­wort­lichkeit der Anstalt verneint. Zugleich bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass anstelle der verneinten Verant­wort­lichkeit der Anstalt eine privat­rechtliche Verant­wort­lichkeit des Betrei­ber­un­ter­nehmens gegenüber dem Beschwer­de­führer bestanden hätte; jedenfalls hat weder die Anstalt noch das Landgericht den Beschwer­de­führer hierauf verwiesen oder die Rechtslage insoweit geprüft. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Gefangener bei einem privaten Unternehmer Arbeit in einem rechtsfreien Raum leistet, in dem grund­recht­er­hebliche Belange, für die er rechtlichen Schutz erwarten darf, weder durch privat­rechtliche Ansprüche gegenüber dem Unternehmer noch durch öffent­lich­rechtliche Verant­wort­lich­keiten der Anstalt geschützt sind.

Das Landgericht hat zudem seine Pflicht zur Sachver­halts­auf­klärung verletzt. Es hat entschieden, ohne in ausreichender Weise dem Hinweis des Beschwer­de­führers auf eine ihm gegenüber bekundete Weiter­be­schäf­ti­gungs­be­reit­schaft des Unternehmens und der damit aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob die später erklärte ablehnende Haltung auf einer von der Anstalt unbeeinflussten Willensbildung beruhte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 06/08 des BVerfG vom 23.01.2008

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