15.11.2024
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Dokument-Nr. 570

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Beschluss12.04.2005Bundesverfassungsgericht2 BvR 1027/02
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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.04.2005

Erfolg für Rechtsanwälte: Anforderungen an die Beschlagnahme von Datenträgern und hierauf gespeicherter DatenBundes­ver­fas­sungs­gericht verbietet willkürliche Beschlagnahme von Daten

Die Beschwer­de­führer (Bf) wenden sich gegen die Durchsuchung und Beschlagnahme des gesamten elektronischen Datenbestands ihrer gemeinsam betriebenen Rechts­an­walts­kanzlei und einer unter der gleichen Adresse firmierenden Steuer­be­ra­tungs­ge­sell­schaft im Rahmen eines gegen einen der Berufsträger gerichteten Ermitt­lungs­ver­fahrens. Ihre Verfas­sungs­be­schwerde hatte Erfolg. Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hob die Beschlüsse des Landgerichts (LG) auf, soweit über die Sicherstellung von Beweismitteln entschieden wurde. Die Sache wurde an das LG zurückverwiesen.

Der Zweite Senat sieht in der Durchsuchung und Sicherstellung des vollständigen Datenbestands von Berufs­ge­heim­nis­trägern einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung, dem durch die strikte Beachtung des Verhält­nis­mä­ßig­keits­grund­satzes und durch die Beachtung von Verfah­rens­re­ge­lungen begegnet werden müsse. Damit diese Voraussetzungen nicht wirkungslos bleiben, erörtert das Gericht ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Steuer­fahn­dungs­stelle des Finanzamts führt ein Ermitt­lungs­ver­fahren gegen einen Rechtsanwalt und Steuerberater (beschuldigter Beschwer­de­führer; Bf). Dieser ist neben zwei weiteren Rechtsanwälten (weitere Bf) Sozius einer Rechts­an­walts­kanzlei und Mitge­sell­schafter einer unter derselben Adresse tätigen Steuer­be­ra­tungs­ge­sell­schaft (ebenfalls Bf). Gegen den beschuldigten Bf besteht der Verdacht, er sei daran beteiligt gewesen, dass drei inländische Handelsfirmen Geldbeträge für tatsächlich nicht erbrachte Lieferungen und Leistungen an Brief­kas­ten­firmen auf der britischen Insel Jersey gezahlt hätten. Dadurch seien Gewerbe- und Körper­schafts­steuer der Firmen und seine Einkommensteuer verkürzt worden. Außerdem werden weitere Personen, die nicht in der Kanzlei und Steuer­be­ra­ter­praxis tätig sind, mitbeschuldigt.

Auf Grund dieses Verdachts erließ das Amtsgericht Hamburg (AG) Durch­su­chungs­be­schlüsse bezüglich des Arbeitsplatzes des beschuldigten Bf und der Räume der Steuer­be­ra­tungs­ge­sell­schaft. Bei der Durchsuchung wurden Beweis­ge­gen­stände und Computer beschlagnahmt sowie Kopien sämtlicher Dateien der elektronischen Daten­ver­a­r­beitung der Rechts­an­walts­kanzlei und Steuer­be­ra­tungs­ge­sell­schaft angefertigt. Das AG bestätigte die Beschlagnahme der Gegenstände und Daten nur zum Teil. Auf die Beschwerde der Staats­an­walt­schaft erweiterte das Landgericht Hamburg (LG) den Umfang der Beschlagnahme wieder auf alle angefertigten Kopien von Computerdateien und nahezu alle Beweis­ge­gen­stände.

Der beschuldigte Bf und die drei weiteren Bf wenden sich mit einer Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Durchsuchung und die Beschlagnahme.

Der Entscheidung liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die angegriffenen Entscheidungen sind an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. Die Sicherstellung und Beschlagnahme der Datenträger und der hierauf gespeicherten Daten greift in das Grundrecht der Bf und ihrer Mandanten auf informationelle Selbst­be­stimmung ein und beeinträchtigt die hiermit zusam­men­hän­genden Belange der Allgemeinheit. Der Zugriff auf den Datenbestand einer Rechtsanwalts- und Steuer­be­ra­ter­kanzlei beeinträchtigt in schwerwiegender Weise das rechtlich besonders geschützte Vertrau­ens­ver­hältnis zwischen den Mandanten und den für sie tätigen Berufsträgern. Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege und Steuerberater sowie deren Mandanten sind auch im öffentlichen Interesse auf eine besonders geschützte Vertraulichkeit der Kommunikation angewiesen.

2. Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG bedürfen einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Die Straf­pro­zess­ordnung (§§ 94 ff. StPO) erlaubt die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten als Beweis­ge­gen­stände im Strafverfahren. Die einschlägigen Eingriffs­be­fugnisse sind zwar ursprünglich auf körperliche Gegenstände zugeschnitten. Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung erlauben aber die Sicherstellung und Beschlagnahme von Daten auf Datenträgern. Die aktuelle Gesetzgebung (§ 97 Abs. 5 Satz 1, §§ 98 a ff. StPO) belegt zudem, dass der Gesetzgeber von der Beschlag­nah­me­fä­higkeit von Datenbeständen und den auf einem Datenträger verkörperten Daten ausgeht.

3. Der Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz setzt dem staatlichen Handeln Grenzen. Diesem Grundsatz kommt bei der Sicherstellung von Datenträgern und aller darauf vorhandenen Daten eine besondere Bedeutung zu. Ein Datenzugriff weist wegen der Vielzahl verfah­ren­s­u­ner­heb­licher Daten eine Streubreite auf und bezieht zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich ein, die in keiner Beziehung zu dem Tatvorwurf stehen. Daher muss der Zugriff auf für das Verfahren bedeutungslose Informationen im Rahmen des Vertretbaren vermieden werden. Bereits im Verfah­rens­stadium der Durchsicht (§ 110 StPO), das der Entscheidung über die Beschlagnahme vorgelagert ist, ist deshalb - soweit möglich - eine sorgfältige Sichtung und Trennung der Daten je nach ihrer Verfah­rens­re­levanz geboten. Auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren ist zu bewerten. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat und eine geringe Beweisbedeutung der auf dem Datenträger vermuteten Informationen einer Sicherstellung des Datenbestands entgegenstehen.

4. Darüber hinaus bedarf der effektive Schutz des Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung einer den sachlichen Erfordernissen entsprechenden Ausgestaltung des Verfahrens. Das Straf­pro­zessrecht enthält Verfah­rens­re­ge­lungen, die dazu dienen, Grund­recht­s­ein­griffen vorzubeugen oder diese zu minimieren. Dazu zählt insbesondere die Durchsicht gem. § 110 StPO, die die Vermeidung einer übermäßigen Datenerhebung bezweckt. Darüber hinaus dienen die Dateiregelungen der §§ 483 ff. StPO der Gewährleistung der daten­schutz­recht­lichen Positionen der von einer straf­pro­zes­sualen Datenerhebung Betroffenen.

Um Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz und Verfah­rens­rechte nicht fruchtlos bleiben zu lassen, wird zu prüfen sein, ob ergänzend ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot in Betracht zu ziehen ist. Zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfah­rens­ver­stößen ist ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot als Folge einer fehlerhaften Durchsuchung und Beschlagnahme von Datenträgern und der darauf vorhandenen Daten geboten.

5. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Bf in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Das LG berücksichtigt nicht die Bedeutung des Vertrau­ens­ver­hält­nisses zwischen den Mandanten und den für sie tätigen Berufsträgern. Es verkennt, dass der Eingriff eine hohe Intensität aufweist und eine Vielzahl von Dritten betroffen ist. Die Frage der Verfah­rens­re­levanz und Trennbarkeit der sicher­ge­stellten Daten wird nicht geprüft.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 74/05 des BVerfG vom 08.06.2005

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